„The Blacklist“ startet am Dienstag bei RTL – Die Reihe erzählt von Kontrolle und Kontrollverlust, von Terroristen und angeschlagenen Agenten

Er ist immer einen Schritt voraus. Selbst bei seiner Verhaftung spaziert Raymond „Red“ Reddington ins Foyer der FBI-Zentrale und lässt sich bereitwillig Handschellen anlegen. Lächelnd. Womöglich summt er sogar leise vor sich hin. Dies ist nicht die lang ersehnte Festnahme, als die die Medien sie in den Nachrichtenbildern feiern, es ist Teil eines Plans. Eines Plans, der so komplex ist, dass die Agenten jenen Tag noch so manches Mal verfluchen werden, an dem Reddington, der ehemalige Agent und Staatsfeind Nummer eins, seinen Weg zurück ins Körbchen fand.

„The Blacklist“ heißt die neue US-Serie, die bei den renommierten L.A. Screenings im vergangenen Jahr zu den am heißesten gehandelten Stoffen zählte. Der Privatsender RTL hat sich die Rechte gesichert und strahlt „The Blacklist“ nun ab kommendem Dienstag aus, zum Auftakt in einer Doppelfolge. Ein Glücksfall ist die Besetzung der Titelrolle mit dem Emmy-Gewinner und „Boston Legal“-Schauspieler James Spader, der dem Ex-Agenten Reddington eine Art Charisma der Arroganz verleiht. Einen diabolischen Magnetismus. Nach Jahren im Untergrund taucht er wieder auf, im Gepäck eine sogenannte Blacklist mit den Top-Terroristen des Landes, von denen nicht mal hochrangige Sicherheitsbeamte wussten, dass sie existieren.

Isabella Rossellini spielt eine Frau, die sich als Wölfin im Schafspelz entpuppt

Da ist, in der Pilotfolge, der international gesuchte Terrorist Zamani, der im letzten Stadium seiner Krebserkrankung noch Rache an einem ranghohen General nehmen will und zu diesem Zweck dessen kleine Tochter entführt hat. Da ist die von Isabella Rossellini gespielte Menschenrechtlerin Floriana mit edler Samtrobe und Haaren auf den Zähnen, die sich als Wölfin im Schafspelz entpuppt.

Aber Reddington gibt seine Geheimliste nicht etwa freiwillig her. Er hat Forderungen, die mit dreist noch unzureichend beschrieben sind: Er will Immunität. Dazu eine Fünf-Sterne-Suite inklusive Jahrgangschampagner aufs Haus. Reddington ist ein Dandyagent, der gute Anzüge und teure Abendessen schätzt. Schließlich ist Teil seines Deals, dass er nur mit der jungen FBI-Profilerin Elizabeth Keen zusammenarbeitet. Eine unerfahrene, rehäugige Mitarbeiterin, die aussieht, als würde sie in ihrer Freizeit Puppenkleider nähen. Aber Keen, gespielt von der bildhübschen Megan Boone, ist natürlich nicht die naive Agentin, für die mancher sie anfangs hält. Sie ist eine Verwundete, Traumatisierte, woran die Narbe an ihrem Handgelenk täglich erinnert. Und sie ist ein zäher Brocken, der sich nicht scheut, Kugelschreiber in fremde Hälse zu rammen, wenn es nötig ist (und es ist oft nötig).

Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Reddington und seiner Auserwählten ist das Herzstück von „The Blacklist“ und gewinnt mit jeder Folge an Spannung. Der Verdacht, dass der ehemalige Spitzenagent ein fieses, kleines Spiel mit unbekanntem Ausgang treibt, lässt sich nie so ganz entkräften. Immer bleibt da ein Restzweifel, und wer vertraut, hat in diesem Duell schon verloren. Wäre „The Blacklist“ ein Spiel, es wäre mehr ein komplexes Denksporträtsel wie Schach als eine simple, actiondominierte Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie. „Alles an mir ist eine Lüge“, verrät Reddington seiner unfreiwilligen Partnerin. Es ist nicht weit hergeholt, sich in dieser Szene an Anthony Hopkins unvergesslichen Auftritt im „Schweigen der Lämmer“ zu erinnern. Denkt man sich einen Schuss James Bond dazu, kommt man dem Wesen von Raymond Reddington schon recht nahe. Hut, Sonnebrille und ein verführerisch kaltes Funkeln — fertig ist die Agentenmaske. Elizabeth Keen wiederum braucht ein wenig, den ebenfalls widersprüchlichen Charakter ihrer Figur offenzulegen. Sie ist kurz davor, eine Familie zu gründen; als sie zu ihrem ersten Einsatz kommandiert wird, wartet im Nebenzimmer die Dame von der Adoptionsbehörde.

„The Blacklist“, die bei ihrem Start in den USA mehr als 13 Millionen Zuschauer vor den Bildschirm lockte, ist mehr als nur eine weitere FBI-bekämpft-Terroristen-Serie. Klar, auch hier finden sich die üblichen Verfolgungsjagden über Parkdächer und fünfspurig befahrene Straßen, die Fahndungsfotos in der Leitzentrale, die Sicherheitsgladiatoren in Anzügen, die beinharte Sätze von Nichterpressbarkeit um sich schmeißen. Darüber hinaus aber stellt die Serie die große, ebenso sentimentale wie existenzielle Frage, was der Verlust der Identität bedeutet. Was bleibt zurück, wenn man sich ein anderes Leben überstülpt wie einen neuen Kaschmirpullover? „The Blacklist“ erzählt von Kontrolle und Kontrollverlust, von Figuren mit falschen Pässen, Albträumen und Phantomschmerzen.

„Eigentlich kennen wir niemanden wirklich“, bringt es Reddington auf den Punkt. Welch großartige, nervenzerfetzend spannende Geschichten sich mit einem augenscheinlich simplen Satz wie diesem erzählen lassen, hat zuletzt die flächendeckend gefeierte Schläferserie „Homeland“ gezeigt. „The Blacklist“ zeigt es auf ihre, ganz eigene Art.

„The Blacklist“, Doppelfolge ab Dienstag, 20.15 Uhr, RTL, danach immer ab 21.15 Uhr