Das ZDF und Regisseur Philipp Kadelbach verfilmen für den sehenswerten Zweiteiler „Die Pilgerin“ eine Historienschmonzette des schreibenden Ehepaars Iny Lorentz.

Früher haben wir zu dieser Jahreszeit unsere Nachmittage gern mit Errol Flynn herumgebracht und mit Männern in schicken Strumpfhosen und blank geputzten Rüstungen, die an schönen Sommertagen in fein ausgestatteten Burgen edelgewandete Hohe Frauen freiten und virtuos schwertkämpfend fiese schwarze Ritter verjagten. Mittelalter war bunt und sauber und schön. Schon als Robin Hood aussah wie Kevin Costner, war es mit der Ritterherrlichkeit in Film und Fernsehen dann allerdings vorbei. Mittelalter war eklig, dreckig und so schön wie Schmutz unterm Fingernagel.

Was noch an Glanz in unseren Köpfen war an Vorstellung über das Mittelalter, treibt uns ausgerechnet die Ufa aus. Die vielleicht potenteste Filmproduktionsgesellschaft unseres schönen Ritter- und Burgenlandes. Gleich zwei Bader schickt sie durch diesen Winter auf einen Kreuzzug zur Rekonstruktion zumindest eines Gefühls für die schmutzige Wahrheit des Mittelalters.

„Der Medicus“ macht sich im 11. Jahrhundert und in Philipp Stölzls Versuch, aus Noah Gordons Historienschmöker mit begrenztem Budget einen europäischen Kino-Welterfolg zu machen, auf den Weg tief in den Süden, ins Morgenland. „Die Pilgerin“ begibt sich Mitte des 14. Jahrhunderts und in Philipp Kadelbachs Versuch, aus der Historienschmonzette des in Poing bei München lebenden und schreibenden Ehepaars Iny Lorentz (bekannt aus Fernsehen und Buchhandel für „Die Wanderhure“) mit einem noch begrenzteren Budget für das ZDF so etwas wie einen modernen öffentlich-rechtlichen Abenteuerfilm zu machen, tief in den Westen, über die Alpen, die Pyrennäen und den Jakobsweg nach Santiago de Compostela.

Das klammheimliche Duell der Pilger geht sehr zugunsten des Fernsehens aus. Kadelbach macht aus dem schlechteren Buch den besseren Film. Soll ja vorkommen. Kommt vor allem dann vor, wenn man sich den Stoff erzieht, wenn man – wie Kadelbach ziemlich im Gegensatz zu Philipp Stölzl – wenigstens eine klitzekleine Vorstellung entwickelt von dem, was man – abgesehen von einer Bestsellergeschichte – mit ihm erzählen will (ob der Stoff das nun will oder nicht) und diese Vorstellung konsequent durchsetzt. Wenn man eine Bildsprache entwickelt und kolportagehafte literarische Figurenzeichnung nicht als Fessel begreift, sondern als Freiheit, als Aufforderung zu psychologischer Vertiefung.

Wir schreiben das Jahr 1368. In der fiktiven freien und schwäbischen Reichsstadt Tremmlingen, die sehr schick und nur ein bisschen künstlich aussieht, stirbt der Ratsherr Willinger vor sich hin. Seinen Nachlass hat er geregelt – glaubt er. Die Tochter Tilla heiratet den Damian Laux, den Sohn des mächtigen Bürgermeisters, der übernimmt dann gleich auch das Geschäft. Sein Herz, so will es Willingers letzter Wille, soll in geweihter Erde an der letzten Biegung des Jakobswegs begraben werden. Weil er, sagt er, Schuld auf sich geladen hat. Sohn Otfried kommt in den Plänen nicht vor. Papa Willinger hält nichts von ihm. Liebt ihn aber trotzdem. Otfried sorgt dann – als der Vater mit Hilfe der Ortshexe gesundet – dafür, dass er an dieser Liebe und einem Kissen erstickt.

Tilla, die man gleich am Anfang als freigeistige, mutige Frau und mittelalterliche Schwester der Katnis Everdeen aus den „Tributen von Panem“ mit Pfeil und Bogen auf Wildschweinjagd hatte gehen sehen, sieht sich vom durchdrehenden Bruder, der nicht daran denkt, sich an den letzten Willen seines Erzeugers zu halten, verkuppelt mit dem fiesen, alten und mit Vater verfeindeten Veit Gürtler. Sie sägt dem Vater Herz heraus, balsamiert es ein, legt es in ein Amulett, schneidet sich die Haare auf Pagenniveau und macht sich im Gefolge einer buntscheckigen Truppe von Gottsuchern und getarnt als Bader Moritz in Mönchskutte auf nach Spanien.

Die Gerüche werden spürbar, der Gestank, der Dreck, die Finsternis

Man kann sich nun prima lustig machen über ein paar herrlich übertreibende Irre am Wegesrand, die Tillas Truppe das Leben schwer machen. Darüber auch, dass die Berglandschaften, die sie zu durchwandern haben, irgendwie alle aussehen wie das Elbsandsteingebirge, was dem Film eine gewisse Statik verleiht. Über die Glaubensgewissheit und Schicksalsergebenheit, die prinzipielle moralische Ordentlichkeit dieser Filmwelt. Und sich wieder wohlfeile Gedanken machen darüber, ob die anscheinend unkaputtbare Sehnsucht nach derlei Filmwelten nicht von wiederum einer Sehnsucht nach Sitte und Ordnung rührt, nach einer Welt, in der die Bedrohungen offensichtlich und mit Händen zu töten waren.

Die Kamera hat für das Genre ungewöhnlich viel Freigang. Die irrende Kamera, das physische Filmen erobert jetzt dank Altmeister David Slama den Historienschinken, legt unter der prinzipiellen Glaubenssicherheit die Irritationen, das Irre, die Ängste bloß. Überhaupt birst der Film vor Sinnlichkeit, die sich nicht im billigen Vollzug sexueller Handlungen äußert (darin ist „Die Pilgerin“ ziemlich züchtig), sondern in einer schönen, nicht aufdringlichen Körperlichkeit. Darin, dass die Gerüche spürbar werden, der Gestank, der Dreck, die talglichterhellte Finsternis. Die Kämpfe sind fabelhaft geschnitten, es fließt auch Blut.

Es finden übrigens auch Dialoge statt, das war ja leider zu befürchten. Sie sind im Ansatz auch genau so, wie sie eben so sind in so was, aber sie bekommen durch den Rahmen, in den sie hallen, von dem sie überspielt werden und in dem sie nicht mehr so auffallen, fast so etwas wie Glaubwürdigkeit.

Was nun allerdings auch am Personal liegt. Wie Volker Bruch den Otfried in einen immer wahnsinnigeren Macht- und Blutdurst dreht, dabei aber stets das Trauma der väterlichen Fehlliebe spürbar bleiben lässt, ist ziemlich fabelhaft. So fabelhaft mindestens wie Josefine Preuß, die nicht zerbricht am Spagat zwischen Hosenrolle und Emanzipationspassionsspiel, die ihre seltsam unattraktive Rolle ihr abverlangt. Wer steckt schon gern unter einer kuriosen Frisur, unterdrückt jeglichen weiblichen Reiz und soll als Bursche verkleidet vom Recht auf weibliche Selbstbestimmung zeugen? Und sie gewinnt. Erst uns, dann selbstverständlich ihr Glück. Wir sind ja im Unterhaltungsfilm. Da wiederum sind wir gern. Errol Flynn und das knallbunte Mittelalter werden kaum vermisst. Und mehr wollen wir ja sowieso nicht am Ende der Weihnachtsferien. Und unseres Spekulatiusrausches, der uns milder werden lässt gegenüber dem Mittelalter und wie es für uns abgefilmt wird.

„Die Pilgerin“, 5./6. Januar, 20.15 Uhr, ZDF