Klaus Scherer begegnete auf seiner Reise von Grönland nach Alaska Menschen, die sich den Folgen des Klimawandels schon längst angepasst haben

Hamburg. „Wenn uns das Eis wegschmilzt und keiner mehr zum Schlittenfahren kommt, pflanzen wir eben Kartoffeln und gehen wandern.“ Ein erstaunlicher Satz, Dines Mikaelsen spricht ihn gelassen aus. Der junge Inuk lebt auf Grönland, einer vom Klimawandel besonders gefährdeten Region. Er sieht die Gefahren, die auf seine Heimat zukommen, er sieht, wie jedes Jahr das Eis dünner wird, weder Menschen noch Eisbären trägt. Man könnte also depressiv werden angesichts der Lage, doch Dines Mikaelsen gehört zu den Optimisten in der – im doppelten Sinne – aufbrechenden Arktis.

Mikaelsens Heimatort Tasiilaq auf Grönland ist die erste Station von Klaus Scherers Polarreise. Mehr als 10.000 Reisekilometer hat der NDR-Reporter mit dem Flugzeug, dem Schiff oder auf Schlitten zurückgelegt, bis nach Point Hope in Alaska. Sein Zweiteiler „Im Bann der Arktis“ ist am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag in der ARD zu sehen.

Insgesamt sechs Wochen war Scherer mit seinem Team unterwegs. Im März/April dieses Jahres waren sie auf Grönland, in Island, Norwegen und Schweden, im Mai dann in Finnland und Russland, zuletzt in Alaska, wo es im Juli bis zu 30Grad warm gewesen ist. Überall trafen sie Menschen, die vom Wandel im Eis erzählten, wie sie Tradition und Moderne in Einklang bringen.

„Ich war wirklich erstaunt, wie lange die Polarkreisbewohner sich schon mit dem Klimawandel beschäftigen – und wie pragmatisch sie damit umgehen“, sagt Scherer. „Aber sie mussten schon immer mit der Natur leben und sich anpassen.“

Ein Jahr lang hat sich der mehrfach ausgezeichnete Journalist auf diese Reise vorbereitet. Dabei kam ihm zugute, dass er bereits vor acht Jahren eine Polarkreistour gemacht hat und Kontakt zu den Menschen gehalten hat. Zu Mikaelsen etwa und dessen Frau Drusilla. Sie geht auf Fischfang und hat heute ganz andere Arten im Netz als früher, während er seinen abgelegenen Ort auf Touristen vorbereitet, indem er Gästehäuser baut. Klimawandel als Chance, das gilt auch für die anderen, die Scherer besucht hat. Auf Island taucht er mit David Sigurthórsson im eiskalten Gletscherwasser zwischen Amerika und Europa, auch hierher kommen immer mehr Outdoor-Fans. Mit Christer Jonasson und weiteren Klimaforschern stapft Scherer über das schwedische Hochmoor nahe Abisko, das als „Europas letzte Wildnis“ und Klimamodell für die nördliche Welt gilt. Bei den Samen im Norden Finnlands lernt er Unna-Maari Pulska kennen, deren Familie seit Generationen mit und von Rentieren lebt. Unna-Maari studiert jetzt in Suva – und singt in einer Heavy-Metal-Band auf Sami über das Leben zwischen Natur und Stadt. Zwischen Tradition und Moderne.

Eine neue Blütezeit erwartet auch Murmansk, die russische Hafenstadt könnte das Tor zu neuen Handelsrouten werden, erzählt Andrej Stepanow, Vizechef der halbstaatlichen Reederei Rosatomflot. Die Jagd nach bisher im Eis verborgenen Bodenschätzen hat bereits begonnen. Das gilt auch für Jakutien ganz im Osten Russland. Da aber selbst in der angeblich kältesten Gegend der Welt die Permafrostschicht aufweicht, versinken alte Häuser, und neue müssen auf Pfeilern gebaut werden, die mindestens zwölf Meter tief in die Erde gerammt werden müssen, so Stadtplaner Asam Stepanow.

Die Polarreise endet in Point Hope, an diesem Punkt der Hoffnung trifft Klaus Scherer nach acht Jahren wieder Steve Oomittuk, der Inuk ist Bürgermeister des kleinen Ortes, und er warnt vor den Gefahren durch die wachsende Ölindustrie: „Sie verkennen die Gefahren, und bei Unfällen verschmutzen sie unseren Garten.“ Einen Weg zurück in die Vergangenheit aber gibt es nicht.

Klaus Scherer ist einer, der mehr fragt, als dass er doziert, der im besten Fall die Fragen stellt, die auch der Zuschauer stellen würde und der von seinen Erlebnissen erzählt, wie das gute Nachbarn nach einer Urlaubsreise tun. In dem Film ist auch zu sehen, wie er mit anpackt, wie er ein Boot trägt, einen Zaun repariert. „Dann weiß ich, wie sich die Arbeit der Leute anfühlt, die mir von ihrem Leben berichten“, sagt er. Die klassische Reportage, das ist sein Genre. Man könnte auch sagen: Scherer nimmt uns dorthin mit, wohin wir selbst vermutlich nie kommen werden. Und bietet so Bildungsfernsehen im besten Sinne.

„Im Bann der Arktis. Mit Klaus Scherer von Grönland nach Alaska.“ Mi 25.12./Do 26.12., jew. 19.15 Uhr, ARD

Klaus Scherer „Am Ende der Eiszeit. Die Arktis im Wandel“ (Piper Verlag), 290 Seiten, 22,99 Euro