Es duftet nach Naturharz und altem Holz: Werkstattbesuch bei einem Hamburger Geigenbauer, der vieles macht. Hin und wieder baut er sogar ein Instrument.

Hamburg. Wenn Felix Schleiermacher sich 400 Jahre zurückbeamen könnte und die Werkstatt von Nicola Amati beträte, könnte er sofort anfangen zu arbeiten. „Schnitzer, Hohleisen, Gestellsäge – wir verwenden nahezu die gleichen Werkzeuge wie die Geigenbauer damals in Cremona“, sagt der schmale Mann mit den Lachfältchen an einem Dezembertag 2013 und beugt sich wieder über die Geige vor ihm, wobei seine Haare nicht nur einen Kranz um den Kopf bilden, sondern auch fröhlich in alle Richtungen abstehen. Auf einer weißen Fliese mischt er mit einem Pinsel aus drei Häufchen mit Pigmentfarben, Gelb, Rot und Schwarz, den richtigen Farbton für Retuschen und zieht in hauchfeinen Linien die Maserung nach.

Schleiermachers Werkstatt hat etwas vom Charme einer alten Apotheke. „Aloe“ oder „Leinöl“ steht auf den bauchigen Flaschen im Holzregal, daneben hängt ein weißer Pferdeschweif – nicht ganz, das sind nur die Haare, alle gleich lang und sorgsam gekämmt. Die braucht er, um Bögen zu beziehen. Es duftet nach Naturharz und altem Holz, nach der Aura all der Geigen, Celli und der paar Bratschen, die in Vitrinen hängen oder, ohne Saiten ein wenig nackt, auf den Werkbänken liegen.

Wenn Schleiermacher, im Mai ist er 50 geworden, die Tür seines weinlaubberankten Hauses öffnet, begrüßt er seine Besucher so herzlich wie alte Freunde. Und er hat viele Besucher. Nicht nur Geigen- und Cellokinder, auch zahlreiche Orchestermusiker kommen zu ihm nach Nienstedten. Die Deutsche Stiftung Musikleben vertraut ihm die Kostbarkeiten aus dem Deutschen Musikinstrumentenfonds an, und internationale Solisten wenden sich an Schleiermacher, ob sie in Hamburg wohnen wie Baiba Skride oder auf Tournee sind wie Leonidas Kavakos.

Auf einer schwarzen Samtdecke liegt eine alte italienische Geige. „Mein Baby!“, ruft Harim Chun, Geigerin im NDR Sinfonieorchester, hörbar erleichtert, das Instrument wieder in den Händen zu halten. „Der Lack kommt mir etwas heller vor“, sagt sie. „Ich habe die ganze Farbe runtergemacht und die Geige neu lackiert“, erwidert Schleiermacher. Ein Scherz, klar. Der Lack ist schließlich eins der Geheimnisse für guten Klang. „Wollen Sie sie mal ausprobieren?“ Chun spielt ein paar Töne, erst behutsam, dann entschlossen, dann setzt sie die Geige wieder ab. „Auf den oberen Saiten klingt sie noch etwas eng“, sagt sie. Schleiermacher nimmt das Instrument wie eine Hebamme ein Neugeborenes: sicher, beherzt, einfühlsam. Misst Abstände und klopft dann mit dem Stimmsetzer von innen gegen den Stimmstock, der zwischen Boden und Decke der Geige steht und die Schwingungen überträgt. Eine Veränderung von einem Zehntelmillimeter kann den Klang schon entscheidend verändern. Chun probiert, Schleiermacher hört zu, klopft und misst. So geht das eine Weile, bis beide zufrieden sind.

„Den Klang für die Persönlichkeit und die individuelle Spieltechnik einzurichten ist für mich das Wesentliche an meinem Beruf“, sagt er hinterher. „Schöne Holzkisten zu restaurieren, das würde mir nicht reichen.“ Das Reparieren ist der Schwerpunkt seiner Arbeit; zum Neubau kommt er kaum, nur hin und wieder für spezielle Aufträge. „Mir ist der Umgang mit den alten Instrumenten wichtig. Sie sind Stilschule und Inspiration für mich.“

Feine Ohren braucht es dazu und eine Intuition, die man nur durch Erfahrung erwirbt. Bevor Schleiermacher sich 1999 selbstständig machte, haben ihn seine Wanderjahre nach Füssen, Chicago und schließlich zu dem renommierten Hamburger Geigenbauer Reinhard Fischer geführt. Und immer wieder zu den historischen Quellen. Als Zivildienstleistender, seine Gesellenprüfung an der Geigenbauerschule in Mittenwald hatte er gerade abgelegt, grub er sich in Bibliotheken ein, um herauszufinden, woher die Alten Meister ihr Holz nahmen. Schließlich zog er, als die Sterne günstig standen, nach dem ersten Frost an einen Berghang nahe Mittenwald kurz unterhalb der Baumgrenze, um die Haselfichte zu finden, die das perfekte Klangholz ergäbe: langsam und gerade gewachsen und auf den unteren zehn Metern astfrei. Seit gut 25 Jahren lagert das Holz bei ihm auf dem Dachboden. Andere Geigenbauer sparen sich solchen Aufwand und besorgen sich ihr Material beim Tonholzhändler.

Aber gerade das macht womöglich den Unterschied. „Ich halte ihn im besten Sinne für einen Verrückten“, sagt Christopher Franzius, Erster Solocellist beim NDR Sinfonieorchester. Er hat bei Schleiermacher sein Goffriller-Cello restaurieren lassen, eine Rarität aus dem frühen 18. Jahrhundert. Um das ideale Holz für einen Bassbalken zu finden, plünderte Schleiermacher seine Vorräte förmlich. „Wenn sich einer so da reinbeißt, dann ist das kein Job mehr, sondern er will einfach das Beste machen“, sagt Franzius. „Ich bin begeistert. Dass es so lange gedauert hat, ist mir im Nachhinein egal.“

Lange, das kann schon mal Jahre bedeuten. Zurzeit hat Schleiermacher in der Tat ein besonderes Verhältnis. Sie wird in seinem Beruf nun einmal nicht mit der Stechuhr gemessen. Hin und wieder setzt er sich in seinen VW Bulli, Jahrgang 1965 und eigenhändig hergerichtet, und bringt seine Töchter zur Schule. Weil die Familienwohnung im selben Haus ist wie die Werkstatt, können sie zusammen Mittag essen – darin erschöpft sich Schleiermachers Freizeit auch schon. Neben dem Geigenbau verkauft er gelegentlich Instrumente, und als hätte er nicht schon genug um die Ohren, sitzt er noch in verschiedenen Jurys und arbeitet im Vorstand des Verbands deutscher Geigenbauer und Bogenmacher. Und dann ist da noch das lästige Thema Verwaltung. Für die benutzt er dann doch einen Computer. Zur konzentrierten Arbeit an einem Instrument kommt er oft erst spätabends. Das erklärt die müden Stellen unter seinen Augen.

Was es nicht erklärt, ist die Wärme, mit der er sich seinen Mitmenschen zuwendet, großen und kleinen, berühmten und normalsterblichen. Als die Geigerin Midori einmal vor dem Konzert eine neue Bogenbehaarung brauchte, bediente Schleiermacher erst einmal ein Kind und seine Mutter, die einen Termin hatten, um eine Viertelgeige auszuprobieren. „Kinder können nicht warten. Dann kommt Midori eben 20 Minuten später dran“, sagt Schleiermacher gelassen. Der Bogen wurde trotzdem rechtzeitig fertig.