Der Dokumentarfilm „Elifs Männer“ erzählt Familiengeschichten von Kazim Abaci, der Kind türkischer Einwanderer ist und heute für die SPD in der Bürgerschaft sitzt.

Hamburg/Ankara. Feryat Abaci hat Bock auf Urlaub. Der Teenager will Hosen shoppen, hat Lust auf Party mit seinem Kumpel, auf Chillen. Was man halt so macht als 20-Jähriger. Aber gerade hockt er Stunden bei seiner Tante auf dem Sofa. „Bist groß geworden“, dann zum Tee die alten Familiengeschichten. Feryat schläft auf dem Sofa ein. Neben seinem Vater. Am nächsten Tag finden sie kein Shopping-Zentrum, keine Hose, die Laune ist mies. Also kommt die Sache auf den Tisch, in einem Café mitten in Ankara. „Du hast die Stimmung vergiftet“, sagt Kazim Abaci, der Vater. „Du bist auch egoistisch, du wolltest fünf Stunden bei deiner Familie sein“, antwortet der Sohn. „Ich habe mich bei meiner Familie wohlgefühlt. Gilt das nicht auch mal für mich, dass ich Zeit mit meiner Familie verbringe.“ Feryats Kumpel aus Hamburg sitzt neben den beiden Abacis. Er sagt nichts.

Es ist eine Szene aus dem Film „Elifs Männer“. Und es zeigt den Streit, wie es ihn oft gibt in Familien, zwischen Vater und dem Sohn, der allmählich ins Leben ohne Eltern strebt. Es geht um Unabhängigkeit, um Macht, um Angst vor Nähe, aber auch der Angst vor Distanz. Beim Vater wie beim Sohn. Aber in der Dokumentation von Markus Fiedler und Kirstin Krüger geht es um mehr. Es ist die Geschichte dreier Männer, Sohn, Vater, Großvater. Drei Männer aus drei Generationen. Es geht auch um Heimat, vielleicht verlorene Heimat, um das, was man werden kann als Fremder in einem Land.

Großvater Veysel Abaci und seine Frau Elif kommen Ende der 60er aus Anatolien nach Hamburg. Fürs Schuften hatten deutsche Unternehmer die beiden geholt. Also schufteten sie. Erst in einem Blumenhandel, dann in einer Asbestfabrik in Bergedorf. Geld verdienen und zurück, so sah er aus, der türkische Traum der ersten Gastarbeiter.

Veysel und Elif Abaci blieben nicht nur die zwei Jahre, wie sie es geplant hatten. Sie blieben 20, bekamen Kinder oder holten sie aus der Türkei. Sohn Kazim wuchs in Hamburg auf, ackerte sich hoch vom Hilfsarbeiter über ein Studium zum Mitbegründer des Vereins „Unternehmer ohne Grenzen“. Es war sein Sprungbrett in die Politik, heute sitzt er für die SPD in der Bürgerschaft. Er hat Macht – und kann das tun, was seine Eltern nie konnten: dieses Land mitgestalten. Deutschland fühlt sich gut an.

Im Film ist Feryat zum zweiten Mal sitzen geblieben. Wenn er das Abitur schafft, will ihm der Vater ein Auto kaufen. Als seine Mutter und Kazims Frau an Krebs starb, war Feryat gerade zwölf. Der Vater zog den Sohn alleine groß, sie leben heute in Altona. Nun reisen sie mit den Filmemachern zurück in das anatolische Dorf, aus dem die Großeltern kamen. Im Haus der Familie stöbern sie in den Schubladen, Kazim Abaci hält ein verstaubtes Radio in den Händen, er kennt es noch aus der Zeit, als er gerade neu war in Hamburg. Feryat und sein Kumpel entdecken Opas Munitionsgürtel aus der Militärzeit im Schrank. Draußen werfen die anatolischen Berge lange Schatten. Die Geschichte der Migration ist immer auch eine Reiseerzählung, manchmal ein Abenteuer, oftmals viel Strapaze. Anfang der 1990er gingen Veysel und Elif zurück in die Türkei. Sie ließen die Kinder zurück, verließen sie. So sieht es Kazim Abaci. Sind die Eltern gescheitert?

Wenn Deutschland über Migration, Integration oder Fachkräfte aus dem Ausland redet, dann geht es oft um „die Zuwanderer“, es geht um Volkswirtschaft, Einwanderungskultur, um Standortpolitik und Sozialsysteme. Die Politik liefert passende Zahlen: Mehr als 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland. In Hamburg kommt fast jedes zweite Schulkind aus ausländischen Familien oder hat Eltern, die eingewandert sind. Die Geschichte von Veysel, Kazim und Ferydat Abaci zeigt die Menschen hinter Zahlen und Begriffen. Packst du das? Kannst du das? Willst du das? Es sind die Fragen von Menschen, die ihren Weg suchen in eine deutsche Normalität. Es sind die Fragen, die sich Kazim Abaci gestellt hat, als die Eltern zurück gingen in die Türkei und er hierblieb.

Das Interkulturelle Festival eigenarten zeigt im Abaton „Elifs Männer“ am So 3.11., 11.00. Regisseur Markus Fiedler ist anwesend.