Das Überjazz Festival bietet an drei Tagen auf vier Bühnen ein breites Spektrum der Musikszene

Kampnagel. Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Der Dauergast der vierten Ausgabe des Festivals Überjazz auf Kampnagel sollte idealerweise aus mindestens drei musikalisch leidenschaftlichen Teilpersönlichkeiten bestehen. Eine hätte Freude an zeitgenössischen, auch elektronisch produzierten Klängen, die zum Tanzen verführen; die zweite würde den eher handelsüblichen Jazz schätzen; die dritte schließlich müsste sich für modernen Soul erwärmen. Ist der Geschmack weniger breit, die Neugier weniger ausgeprägt, tut es auch eine Tageskarte.

Das Programm gliedert sich nämlich hübsch praktisch in drei Genres, drei Abende. Am Freitag spielen vor allem die jüngeren (Auch-)Elektroniker, am Sonnabend überwiegen Jazzer im besten Alter mit zumeist handgemachter Musik und am Sonntag stehen mit José James, der britischen Junior-Diva Zara McFarlane und dem aufstrebenden Crooner Ady Souleiman auf einmal nur noch Soul-(Jazz-)Sänger auf der Bühne.

Das größte Erregungspotenzial verspricht der Eröffnungsabend

Einer, der sich darüber ein bisschen grämt, ist ausgerechnet der, der das Programm hauptverantwortlich zusammengestellt hat: Heiko Jahnke. Der Sohn des legendären Hamburger Impresarios Karsten Jahnke, seit 2010 fest im Team der väterlichen Firma, hätte es lieber gesehen, wenn alles sich bunt und unvorhersehbar mischt. „Es geht ja nicht um Ausgrenzung, im Gegenteil“, sagt Schnellsprecher Jahnke, 43, der in seinen jungen Jahren als Plattenaufleger zum künstlerischen Stammpersonal des alten Mojo Clubs gehörte. Die „Arroganz der verschiedenen Lager“ im Jazz kennt er sehr wohl, sie nervt ihn wie viele seiner Generation.

Doch bei der Zusammenstellung des Überjazz-Programms musste auch Jahnke junior mit den beiden klassischen Gegnern des Festivalplaners ringen, dem Terminplan im Allgemeinen und den Gagenvorstellungen mancher Künstler im Besonderen. „Man puzzelt sich monatelang einen ab, und dann gibt es doch wahnsinnig viel, was nicht klappt“, sagt er. So wurde das Programm, wie es nun ist. Mal passten die Daten nicht, mal haperte es an Übereinkunft hinsichtlich des Honorars.

Liebend gern etwa hätte Jahnke den US-Pianisten Vijay Iyer mit dem Bassisten Thundercat zusammengebracht, der bei Flying Lotus spielt und von dem Jahnke weiß, wie sehr Iyer ihn schätzt. Irgendwas aber kam Herrn Thundercat dazwischen, deshalb reist Iyer nun erneut mit seinem fantastischen Akustik-Trio an (Sonnabend).

Bill Frisell, neben Pat Metheny und John Scofield der wohl einflussreichste Gitarrist des Jazz der letzten 30 Jahre, hat dem verehrten Arrangeur Michael Gibbs einige seiner Stücke gegeben, auf dass er sie für die NDR Bigband einrichte. Wie sich Frisells oft folkloristisch-sensible Linien im Kontext eines Jazzorchesters ausmachen, wird sich erweisen. Ebenfalls am Sonnabend marschiert die New Orleans Brass Band Soul Rebels über die Bühne der K6. Und wer das Duo der koreanischen Sängerin Youn Sun Nah mit dem dänischen Gitarristen Ulf Wakenius noch nicht erlebt hat, hat eine Entdeckung vor sich, die Überjazz-Veteranen allerdings schon vor drei Jahren machen konnten.

Das größere Erregungspotenzial aber verspricht der Auftaktabend. Heiko Jahnke und dem Kampnagel-Dramaturgen András Siebold, der diesmal mehr aus dem Hintergrund Fäden zog und Kontakte einbrachte, sind diesmal gleich mehrere spektakuläre Hamburger Premieren geglückt. So treffen die beiden gleichermaßen exzentrisch denkenden und spielenden, dabei extrem unterschiedlichen Pianisten Hauschka und Nik Bärtsch (Ronin) erstmals als Duo aufeinander. Der in Berlin lebende Elektronik-Papst Moritz von Oswald bastelt für den norwegischen Depri-Trompeter Nils Petter Molvaer ein paar seiner extrem entschleunigten Grooves. Auch das wundervoll unkonventionell klingende Klaviertrio Gogol Penguin aus England war noch nie hier.

Die größte Vorfreude aber löste die Nachricht aus, dass es erstmals in Hamburg das Brandt Brauer Frick Ensemble live zu hören geben wird. Die Herren Brandt, Brauer und Frick aus Berlin waren zwar im Frühjahr mit einem DJ-Set sowie live gespieltem Schlagzeug, Bass und Gesang im Uebel & Gefährlich aufgetreten, aber das Level ihres Musizierens und ihrer halsbrecherischen Beats ist in der großen Besetzung mit zehn Top-Instrumentalisten noch um einiges spektakulärer. Da wird auch auf Kesselpauken, Harfe, Posaune, Tuba und anderem schweren analogen Gerät musiziert, und dabei entstehen beinharte und doch filigrane Techno-Grooves, die mit mächtigem Schlag das BBF-typische Synkopengewitter stützen.

Mit William Adamson tritt ebenfalls am Freitag eine schwer auf US-Roots und Südstaaten gebürstete Kapelle auf. Sie trat im Dunstkreis des DJs und BBC-Radio-1-Trüffelschweins Gilles Peterson ans Licht, auf dessen Label Brownswood Records auch José James und Zara McFarlane manches Album veröffentlichten (bis James einen Vertrag bei Blue Note bekam).

Weil Überjazz einst aus dem Hamburger Jazzfestival hervorging, für das das Hamburger Jazzbüro jahrelang die Bands buchte, hat auch die lokale Szene ein starkes Standbein auf dem Herbstfestival. In diesem Jahr gastieren dort das Sandra Hempel 4-tett, Edward McLeans Adoqué, das Fischer-Spangenberg Quartett sowie das Felice Sound Orchestra, die Dancefloor-Band des vor allem für seine skurrilen Hörspiele („Kommander Börte“) bekannten Bassisten Felix Behrendt (Sonnabend).

Überjazz Festival Fr 25.10., 20.00, Sa 26.10./So 27.10., jew. 19.00, Kampnagel (Bus 172, 173) Jarrestraße 20, Tickets ab 30,- (1 Tag), 70,- (2-Tage), 100,- (3-Tage) unter T. 413 22 60