Die Bücherstube Felix Jud feiert am heutigen Mittwoch ihren 90. Geburtstag. An den Colonnaden 104 hatte sie 1923 ihre erste Heimat

Hamburg. Er werde demnächst 90, sagte der Hamburger Buchhändler Wilfried Weber kürzlich scherzhaft und wohl auch ein wenig kokett gegenüber einer jungen Dame, wobei er natürlich nicht sich selbst, sondern die von ihm seit Jahrzehnten geleitete Buchhandlung Felix Jud meinte. Die Angesprochene musterte ihn kurz, um ihm dann mit der als Kompliment gemeinten Feststellung aus der Fassung zu bringen, er habe sich ganz gut gehalten, 90 würde sie ihm nicht zutrauen, eher 80. In Wahrheit ist Wilfried Weber, der diese Episode selbstironisch und mit offensichtlichem Vergnügen zum Besten gibt, natürlich deutlich jünger, aber zur Kategorie der Zeitzeugen muss er dennoch gerechnet werden.

Immerhin trat Weber schon 1962 als ganz junger Mann in die damalige „Hamburger Bücherstube Felix Jud“ ein, die er heute gemeinsam mit Marina Krauth führt. Am 16. Oktober feiert die Hamburger Institution ihren 90. Geburtstag. Über die Geschichte der Buchhandlung und deren Gründer und Namensgeber können Weber und Krauth farbig und spannend erzählen. 24 Jahre war Jud alt, als er im Jahr 1923 in den Colonnaden 104 seine „Hamburger Bücherstube“ gründete.

Wie ambitioniert der junge Mann, der schon als 15-Jähriger in Jena eine Buchhandlung mit 16 Beschäftigten geleitet hatte, damals war, zeigt der Text des zur Eröffnung verfassten Einladungsschreibens. Darin heißt es: „Allen Verhältnissen zum Trotz – im Glauben an eine bessere Zukunft Deutschlands und im Vertrauen auf das literarisch gebildete Hamburger Publikum – haben wir uns entschlossen, eine neue Buchhandlung zu eröffnen.“ Diese solle „eine Pflegestätte sein für das gute und schöne Buch, für Publikationen über alte und moderne Kunst und für Bücher über Philosophie“, heißt es in dem Text, der das Profil umreißt, dem sich die Buchhandlung bis heute verpflichtet fühlt.

Felix Jud war eine charismatische Persönlichkeit. Hoch gebildet, geistvoll und von gewinnender Art, war er mit zahlreichen Autoren befreundet, bekam die Ungunst der Verhältnisse nach 1933 aber bald zu spüren. Aus Widerwillen wurde Widerstand, der sich zunächst subtil äußerte. Als alle Buchhändler im April 1935 per Erlass dazu verpflichtet wurden, ihr Schaufenster zu Hitlers Geburtstag zu dekorieren, legte Jud ein eingerissenes Titelblatt mit einem Führer-Foto aus und stellte dazu mehrere Exemplare des Südsee-Reports von Richard Katz mit dem Titel „Heitere Tage mit braunen Menschen“. Jud lebte gefährlich, auch wenn er nicht jüdischer Herkunft war. „Als ihn ein Standesbeamter namens Müller anbot, den in seinen Augen kompromittierenden Namen ändern zu wollen, konterte er: Warum sollte ich mich umbenennen? Sie tun es ja auch nicht.“ Jud verkaufte vertrauenswürdigen Kunden regimekritische Literatur und unterhielt Kontakte zum Hamburger Zweig der „Weißen Rose“. Am 18. Dezember 1943 schlug die Gestapo zu: Der Buchhändler wurde verhaftet, ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel gebracht und ein halbes Jahr später ins KZ Neuengamme verlegt. Als die Alliierten schon anrückten, verurteilte ihn der Volksgerichtshof in Hamburg am 19. April 1945 noch zu vier Jahren Zuchthaus, nur Tage später wurde er von den Engländern befreit.

Dass Felix Jud im zerstörten Hamburg seine Bücherstube am Neuen Wall erneut etablieren konnte, verdankte er auch der finanziellen Unterstützung seines Freundes Axel Springer. „Damals gab es in Hamburg gleich mehrere Buchhandlungen, die ähnlich gut waren wie Jud, der dem arrivierten Bürgertum als Linker galt“, erzählt Weber, der 1972 Juds Teilhaber wurde. Auch Marina Krauth hat Felix Jud noch kennengelernt. Als sie sich 1974 bei ihm bewarb, schickte er sie erst einmal mit einem Buchstand in die Kunsthalle, wo damals gerade die große Caspar-David-Friedrich-Ausstellung lief. Keine schlechte Idee, denn Krauth schloss zwar ihre Buchhändlerlehre ab, studierte später aber auch Kunstgeschichte.

Und Kunst spielt heute in der stilvollen Buchhandlung am Neuen Wall eine noch größere Rolle als zur Zeit des Gründers, der 1985 starb. „Felix Jud – Buchhandlung, Antiquariat, Kunsthandel“, heißt die offizielle Bezeichnung der Firma heute, die auch Lesungen mit bedeutenden Autoren veranstaltet, mit vier anderen deutschen Buchhandlungen den literarischen Almanach „5 plus“ herausgibt, zu Ausstellungen einlädt und ihre Schaufenster immer wieder so überraschend und anspruchsvoll gestaltet, dass man sich kaum davon losreißen kann. „In Zeiten der Bedrängnis für das gedruckte Wort und den stationären Buchhandel, haben wir den Mut, unser 90-jähriges Bestehen zu feiern“, hat Wilfried Weber geschrieben. Gefeiert wird zum Beispiel mit dem „Herbstsalon“, in dem Werke des Hamburger Künstlerpaares Emil Maetzel und Dorothea Maetzel-Johannsen sowie Arbeiten von Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Max Liebermann, Emil Nolde zu sehen sind. Die Verkaufsausstellung ist während der Öffnungszeiten bis zum 31. Oktober zu sehen.