Der Theater- und Filmschauspieler Ulrich Matthes spielt zur Eröffnung des Hamburger Theaterfestivals an diesem Sonnabend den Ödipus.

Hamburg. Wenn man den Schauspieler Ulrich Matthes trifft, gibt es immer was zu lachen. Und das nicht nur, weil man gemeinsam erst einmal eine Runde berlinert. Matthes, der als „Ausnahmeschauspieler“ gilt, asketisch wirkt und gerne auch als Mann mit Abgründen besetzt wird, ist ein lustiger Typ. Der Schauspieler, der zum Ensemble des Deutschen Theaters in Berlin gehört, wurde schon mit vielen Preisen geehrt, unter anderem dem Faust-Theaterpreis, dem Bayerischen Filmpreis, dem Deutschen Hörbuchpreis. Zweimal wurde er zum „Schauspieler des Jahres“ gewählt. Wenn er auf der Bühne steht, so ist sein Name meist ein Garant dafür, dass man einen aufregenden Theaterabend zu sehen bekommt.

Unlängst hat Matthes zwei Filme abgedreht, steht mitten in einem dritten. Anfang November hat er Premiere mit dem Stück „Gift“ in Berlin. Doch zuvor gastiert Matthes mit Stephan Kimmigs Antiken-Inszenierung „Ödipus Stadt“ in Hamburg. Die hochgelobte Aufführung eröffnet das fünfte Hamburger Theaterfestival am Sonnabend. Der Dramaturg John von Düffel hat für die Inszenierung aus dem „König Ödipus“ von Sophokles, den Aischylos- und Euripides-Dramen „Sieben gegen Theben“ und „Die Phönizierinnen“ sowie der „Antigone“ des Sophokles eine packende dramatische Erzählung gesponnen. Die Tragödie des Ödipus verbindet sich da in zweieinhalb Spielstunden zur Gesamttragödie des Mannes Ödipus. Des vom Schicksal geblendeten Königs- und Vatertöters, Muttergattens und Vaterbruders seiner Söhne und Töchter, deren berühmteste die Antigone ist. Es ist ein Drama des Familienfluchs, ein Inzestkrimi, ein Kriegsstück über Staatsräson, Religion, Recht, Freiheit, Schuld und Sühne. Matthes spielt darin den Ödipus, die ehemalige Thalia-Schauspielerin Susanne Wolff den Kreon. Wir sprachen mit Ulrich Matthes über seine Rolle. Zum Interview bestellt er ein großes Stück Schokotorte.

Hamburger Abendblatt: Zu Beginn des Festivals setzen sich in „Ödipus Stadt“ vier Stücke mit dem Ödipus-Mythos auseinander. Am Ende des Festivals gibt’s mit „Troja“ vom Wiener Burgtheater noch mal Griechisches, und Karin Beier eröffnet im November das Schauspielhaus mit ihrem Antikenprojekt, „Die Rasenden“. Was ist so sexy an den alten Griechen?

Ulrich Matthes: Sie haben sich dieselben Fragen gestellt wie wir heute. Was macht die Macht mit Menschen? Wie gehe ich mit Gegnern um? Was ist ein Kompromiss? Es geht um Anpassung, Widerstand, Politik. Unsere Aufführung ist keine Bildungsveranstaltung über die Antike. Sie ist sehr spannend. Sie ist die Essenz des Ödipus-Mythos.

In dieser Aufführung ist Kreon die Hauptfigur, der alle Stadien der Macht durchläuft. Warum wird diese Rolle von einer Frau gespielt?

Matthes: Machtausübung ist zum Glück nicht mehr immer nur männlich besetzt. Sophokles konnte sich das natürlich noch nicht vorstellen. Aber Stephan Kimmig ist ein Regisseur, der die Schauspieler liebt, und er stellt sich sein Ensemble auch danach zusammen, mit wem er gerne arbeitet. Er hat ja schon viel mit Susanne Wolff gearbeitet, auch hier in Hamburg. Kreon ist anfangs so etwas wie ein Minister des Tyrannen Ödipus. Dann erkennt Ödipus seine Schuld und übernimmt Verantwortung, wird verstoßen und Kreon übernimmt die Macht.

Kann man diese Rollen auch gestalten, psychologisch ausleuchten?

Matthes: Sicher. Zwar nicht feinsinnig und minimalistisch wie bei Tschechow oder Ibsen, deren Figuren man Detail um Detail ausstatten kann. Für eine griechische Tragödie braucht man eine große Grundkraft, die durch die Situation, in der sich die Figuren befinden, aufgeladen wird. Die Grundsituation ist, dass Ödipus in diesem Staat aufräumen will. Er ist völlig monomanisch. Wenn er dann mehr und mehr von seiner Schuld erfährt, geht es darum, seine Erkenntnis zu spielen. Wie bei einer Wippe verringert sich das Monomanische, und die Erkenntnis baut sich auf. So wird er verletzt, verzweifelt, er schaut in sein Inneres. Die Bühne ist völlig leer.

Da sind Sie sehr allein. Spielt sich das schwer?

Matthes: Nein. Im Gegenteil. Ich liebe leere Bühnen. Ich kann mir so mit meinem Körper jede Ecke suchen. Der Körper kann, wohin er will. Ich muss dann nicht aufs Sofa und in der Kaffeetasse rühren.

Jemand hat geschrieben, der Titel, „Ödipus Stadt“ würde bedeuten, dass die Stadt die ganze Welt sei. Hier entwickelt sich…

Matthes: (lacht herzhaft)

Ist das Kritikerquatsch?

Matthes: Ja! (lacht) Ja, ja. Mensch, wir können doch noch über was anderes sprechen.

Was spielen Sie denn noch zurzeit?

Matthes: Ich habe in Agota Kristofs Romanverfilmung von „Das große Heft“ den Vater gespielt. Der Film kommt am 7. November ins Kino. In einem Film mit einem lettischen Team spiele ich einen Arzt im Ersten Weltkrieg. Und am 9. November habe ich am Deutschen Theater Premiere in einem Zwei-Personen-Stück mit Dagmar Manzel.

Haben Sie etwas, das Sie lieber spielen als andere Rollen?

Matthes: So denke ich nicht. Wenn ich den Zugang zu einer Figur finde, dann springe ich drauf an, sofort. Ganz intuitiv und direkt, kein bisschen intellektuell. Ein Text muss mich packen.

Ihn dann zu gestalten ist ja wieder eine andere Sache.

Matthes: Nein. Wenn’s mich packt, dann packt’s mich. Dann denke ich ‚Jetzt mal ran an die Arbeit‘. Mir fällt dann schon was ein. Wär ja traurig, wenn nicht, nach mehr als 30 Berufsjahren. Oft ist es besonders interessant, wenn die Figur sehr anders ist als ich. Man hat ja mehr Seiten, als die Zuschauer einem zutrauen. Und als man sich selbst zutraut. Mich papageienhaft zu verwandeln, das liegt mir nicht. Ich erkenne gern Personen wieder, das berührt mich mehr.

Was haben Sie durch den Beruf gelernt?

Matthes: Menschenmöglichkeiten. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob man über etwas liest oder ob man eine Figur verkörpert. Diese Art von Möglichkeiten erfährt man im Akt des Spiels buchstäblich, ergreifend und körperlich. Ich versuche mit einer Form von Konzentration auf die Figur die Zuschauer zu verführen, sie aufzufordern, sich mit der Figur auseinanderzusetzen. Und zwar so, dass sie auch etwas über sich selbst erfahren können.