Theaterkritik

„Kiezstürmer“-Festival: starker Theaternachwuchs

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Beim „Kiezstürmer“-Festival im rappelvollen St. Pauli Theater überzeugten drei von vier Produktionen. Für Nachwuchskünstler mit Ambitionen bietet die Veranstaltung ein perfektes Schaufenster.

Hamburg Nachwuchskünstler brauchen Plattformen. Bei den von Ulrich Waller 2005 ins Leben gerufenen „Kiezstürmern“ im St. Pauli Theater haben heute so erfolgreiche Regisseurinnen und Regisseure wie Jette Steckel ihre ersten Arbeiten präsentiert. Die vier von Waller dramaturgisch betreuten Theaterakademie-Produktionen der „Kiezstürmer 2013“ wurden als Block ab Nachmittag auf ein ausdauerndes Publikum losgelassen. Auch nach sechs Stunden war der Saal gerappelt voll.

Der Jahrgang zeigt einmal mehr, wie vielfältig die Zugänge zum Theater sein können. Tobias Herzberg etwa begibt sich in Anlehnung an die Ideen des amerikanischen Idealisten John Cleves Symmes jr. auf eine Expedition zum Mittelpunkt der Erde. Na ja, fast. Denn die sieben nur an ihren Kopfbedeckungen unterscheidbaren Teilnehmer motivieren sich einstweilen ausführlich mit Gruppengymnastik. Sobald der Abstieg beginnen soll, zucken sie zurück. „Die Hohlkörpertatsache. Eine Expedition“ ist eine herrlich verstiegene Versuchsanordnung. Noch größer als die Kraft der Utopie einer besseren Welt auf der hohlen Innenseite der Erde ist am Ende die Angst, den eigenen Traum wirklich wahr werden zu sehen.

Von ausgebremsten Gesellschaftsentwürfen hin zur Literatur: Regisseur Johannes Ender nimmt Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“, schleudert sie in die Luft und lässt sie als Budenzauber herabregnen. Ausgerechnet auf den zu Tode gekommenen Angorakater einer Nachbarin fokussiert sich das Bühnengeschehen zunächst in Musicalmanier, wobei die Darsteller saftig über die Stränge schlagen. Erst danach geht es an die Geschichte des größenwahnsinnigen Deichgrafen Hauke Haien. Ender und sein spielfreudiges Ensemble fahren einiges an Theatermitteln auf. Wasserdampf, Chöre, menschliche Boßelkugeln. Und vermittelt trotz aller Exkurse viel vom Kampf eines Außenseiters gegen sich selbst, die Gemeinschaft und die Elemente. Diesen Namen wird man sich merken müssen.

Genauso wie den von Kathrin Mayr. Die Regisseurin hat mit „dosenfleisch (at)“ eine sprachgewaltige Vorlage des österreichischen Autors Ferdinand Schmalz gewählt. In einem von Spinnweben und Staub durchzogenen Zauberwald treffen an einer Raststätte auf der Straße und sonst wie im Leben verunfallte Figuren aufeinander. In skurril-komischen Annäherungen ringen sie glaubhaft um jede noch so kleine Empfindung in der herrschenden Taubheit dem Leben gegenüber.

Umgekehrt gilt, dass auch eine noch so ausgefeilte Regie einen schwachen Text nicht retten kann, zu beobachten bei „Es muss im Leben mehr als alles geben“ nach Maurice Sendak in der Regie von Laura Jakschass. Indes: Den vier Produktionen ist eine erfreulich klare Haltung eigen. Genau das, was das Theater braucht.

( (asti) )