Die Jazzgitarristin tourt mit ihrem 4-tett im Oktober durch Hamburg

Sie hat lange nach einem passenden Namen gesucht, und ob sie ihn jetzt gefunden hat mit dieser Zahlenbuchstabenkombination 4-tett – Sandra Hempel wäre die erste, die bereit wäre, daran mitzuzweifeln. Aber Hempelcombo, wie die Hamburger Gitarristin ihre Band zuerst nannte, das führte die Leute dann doch zu sehr auf eine falsche Fährte. Denn Hempelcombo, das klingt nach Hempels unterm Sofa, nach unaufgeräumter, lustiger, quietschvergnügter Musik.

Sandra Hempel kann wohl lustig sein. Aber der Jazz, den sie in ihrem Quartett spielt, diese federnde, fließende, melodiengesättigte Improvisationsmusik, die sich oft schwebend über all die kleinen Hindernisse hinwegsetzt, die die Komponistin Hempel kunstvoll fabriziert und sich und ihren Mitspielern in den Weg gelegt hat, die ist viel mehr als lustig. Sie ist reif und stark und von einer poetischen Überzeugungskraft, wie man sie im Jazz dieser Stadt kein zweites Mal findet.

Im Oktober bieten sich gleich vier Gelegenheiten, die Qualitäten dieser Musikerin live auf Hamburger Bühnen zu erleben. Denn Sandra Hempel veröffentlicht jetzt, kurz nach Vollendung ihres 41. Lebensjahrs, ihre allererste Platte unter eigenem Namen. Wie eine Prinzessin im Kindermärchenbuchland feiert sie deshalb einen ganzen Monat lang Geburtstag, den Geburtstag ihres enorm überfälligen Debüts.

Das war es aber auch schon an Prinzessinnenhaftem bei Sandra Hempel. Mit ihrem braunen, in die Stirn frisierten glatten Haar und der ebenso braunen, etwas eckigen Brille wirkt sie wie ein Tomboy. Nix blondes Gift, keine Blicke oder Posen, die die Primärinstinkte männlicher Plattenkäufer bedienen würden. Die Coverabbildung bietet auch nur die optische Interlinearübersetzung des Albumtitels „Licht aus“. Sie zeigt eine ausgeschaltete nackte Glühbirne in einer Deckenlampenfassung vor grauschwarzem Hintergrund. Ein weiteres Beispiel für jenes bewundernswert konsequente Marketing-Harakiri, das deutsche Jazzmusiker, auf sich allein gestellt, immer wieder gern begehen. Lieber hässlich als schön, lieber den Käufer mit sprödester Optik abschrecken als ihn verlocken.

Um so mehr strahlt die Musik auf „Licht aus“ in ihren eigenen, dunklen Farben. Sandra Hempel spielt eine halbakustische E-Gitarre, ihr Ton hat die Wärme atmenden Holzes. Aber darüber liegt eine feine, silbrige Schicht glitzernder Obertöne. Die Qualität ihres Tons bestätigt die Erfahrung, dass bei guten Gitarristen die Musik zuerst aus den Fingern kommt. Sandra Hempel ist sparsam im Gebrauch von elektrischen oder elektronischen Effektgeräten. Ein bisschen Hall drauf, ein bisschen Spielen mit dem Volumenregler, mehr braucht sie nicht, um ihre melodischen Bögen und Linien durchs Fahrwasser sanfter Dissonanzen zu führen. Wie im Jazz üblich, benutzt sie ihre Gitarre nahezu simultan als Harmonie- und als Melodieinstrument, Akkordisches und vertrackt fließende Single-note-Linien verschmelzen zu einem Amalgam.

Mit Sebastian Gille am Tenorsaxofon (und manchmal an der Altklarinette) hat Sandra Hempel, die auf der Bühne in sich gekehrt und ihre Schuhspitzen betrachtend die Idealbesetzung fürs ewige Mauerblümchen abgäbe, einen ungemein expressiven, dabei stets das Zarte suchenden Gegenspieler. Gille, dem spätestens beim zweiten Stück des Abends schon der Schweiß übers Gesicht rinnt, macht aus jedem Solo, ja, aus jedem Ton, eine Liebeserklärung, wobei er die Verletzungen, die Sehnsucht, den dunklen Schmerz dessen, der da seine Liebe erklärt, nie verbirgt. Irgendwo in der Mitte zwischen Albert Ayler und Lester Young, radikal die Grenzen störend und zugleich wie schüchtern flehend, bläst sich Gille bevorzugt ins Diskantregister seines Horns und organisiert von dort immer neue, andere melodische Verläufe, die mit den Jahren eine unverwechselbare, eigene Gestalt gewonnen haben.

Introvertiert auf der Bühne, im Gespräch ganz locker und spontan

Vielleicht brauchte Sandra Hempel dieses starke musikalische Gegenüber, um sich endlich aus der Reserve der zweiten Reihe zu trauen. „Ich habe immer viel anderswo mitgespielt und da auch eigene Stücke angebracht“, erzählt die Musikerin, von der im Gespräch alle Bühnenintrovertiertheit abfällt. „Aber mit Projekten, für die ich selbst die Verantwortung hätte übernehmen müssen, hab ich mich schwer getan. Kaum traten Widrigkeiten auf, kaum war ein Gig mal nicht so gut, war es schon wieder vorbei. Einmal reingehuscht und gleich wieder zurückgehuscht.“

Diese bequeme, aber irgendwie auch unbefriedigende Eidechsenmentalität hat Sandra Hempel nun abgelegt. Wie man sie so reden hört in der Küche der durchsonnten Altbauwohnung im schönsten Teil von Ottensen, die sie als Mitbewohnerin einer Langzeit-WG teilt, denkt man: Da hat eine mit ihrem späten Debüt noch viel mehr überwunden als nur die vermeintlich ewige Ladehemmung als Bandleaderin. Auch wenn die Assoziation des Albumtitels mit Ilja Richters legendärem „Disco“-Spruch ihr nur ein erstauntes Lachen entlocken kann: Für Sandra Hempel heißt es jetzt Licht aus, Spot an.

Sandra Hempel 4-tett, So 6.10., 19.00, Foolsgarden (S Sternschanze), Lerchenstraße 113, Tickets 7,- (erm. 5,-), Mo 7.10., 21.30 Hafenbahnhof (Bus 112), Große Elbstraße 276, Eintritt 6,-. Sa 12.10., Bar 227 (Fat Jazz), Sa 26.10., Kampnagel (Überjazz)