Solo für Peter Bause in der unbedingt sehenswerten Parabel „Die Judenbank“ an den Hamburger Kammerspielen

Hamburg. Die Bürokratie treibt vielerorts skurrile Blüten. Peter Bause trägt braunen Anzug und dicke Gummischuhe an den Füßen, die ihn über die mit Erdreich ausgelegte Bühne tragen. Als Dominikus Schmeinta sitzt er auf einer hypermodernen eierschalenfarbenen Bank und bilanziert sein Dasein. „Mein Leben? Mein Leben war … wie der Schaum auf einem abgestandenen Glas Bier. Die Hoffnung, die man mal gehabt hat, ist irgendwann in sich zusammengefallen. Jetzt schmeckt man sich nicht mehr!“

Der Appetit auf das Leben ist ihm vergangen. Es ist nicht mehr sein Lieblingsmöbel, auf dem er sitzt, sondern das einer Einrichtung, in die ihn das Hitler-Regime verfrachtet hat. Schmeinta hatte Ungeheuerliches beantragt. Jude wollte er werden, weil er weiterhin auf jener Bank gegenüber dem Bahnhof sitzen wollte, wie seit Jahrzehnten. Doch die trägt seit Kurzem die Aufschrift: „Nur für Juden“. Dabei gibt es in Ottersdorf keinen Einzigen.

Trotz des Schwere des Stoffes ist es eine wahre Freude, Peter Bause zuzuschauen

Es ist natürlich eine historische Kapriole, die der Autor Reinhold Massag hier schlägt, um ein Einzelschicksal vorzuführen. Historisch sind Bänke mit der Aufschrift „Nur für Arier“ überliefert. „Die Judenbank“, die in der Regie von Intendant Axel Schneider Premiere an den Kammerspielen feierte, erzählt eine entlarvende Parabel in finsterer Zeit. Der 72-jährige langjährige Schaubühnenmime Peter Bause glänzt in diesem Volksstück für einen Schauspieler in nicht weniger als neun Rollen.

Überwiegend gibt er den starrköpfigen Dörfler mit einem untrüglichen Gespür für Gerechtigkeit. Sein naiver Glaube an geradlinige Verhältnisse wird ihm zum Verhängnis. Um von einer Figur in die nächste zu wechseln, schiebt Bause seine Stimme um eine Nuance, manchmal nur einen Halbton nach oben oder unten, bewegt seinen Körper um eine halbe Drehung, und schon ist er Schmeintas Mitläuferneffe, der geifernde Hitler-Anhänger und Dorfbürgermeister Roman Schmeinta, dann wieder Cilly, dessen stille aber brave Frau, dann wieder im Handumdrehen den pubertierenden Hansi, beider Sohn. Auch mal ein befreundeter Gemeinderat oder eine junge Nachbarin. Hoch konzentriert spricht er ins Dunkel hinein. Jede Figur nimmt er ernst. Und jede überzeugt. Regisseur Axel Schneider vertraut der alleinigen Kraft der Gesten offenbar weniger. Stattdessen lässt er Assistentinnen emsig auf Kleiderbügel drapierte Kostüme hereintragen, die die jeweilige Figur, die im Vordergrund gesprochen wird, symbolisieren sollen. Ohne Not. Die Aktionen durchbrechen vielmehr die ansonsten konsequent reduzierte Inszenierung, deren Zentrum der wunderbare Peter Bause ist. Trotz der Schwere des Stoffes ist es eine wahre Freude, ihm zuzuschauen.

Vor dem inneren Auge der Zuschauer erscheint ein ganzes Dorf

Aber wo Schatten ist, ist auch Licht. Und so gibt es zwischendurch zum Glück auch Anlass zur Heiterkeit. Etwa wenn sich Schmeinta über den Damenbart seiner Pflegerin lustig macht. Oder wenn Roman Schmeinta unglücklich über seinen allzu weich geratenen Sohn lamentiert: „Die Jugend soll unseren Kampf mal fortführen. Da braucht es Kruppstahl! Und was hab ich gezeugt? Einen Weißlakerkäse!“

Wie nur wenige beherrscht Bause die Kunst des Solos. Das hat er bereits mehrfach bewiesen in Theresia Walsers „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ und in der Ödön-von-Horváth-Adaption „Jugend ohne Gott“. Hier lässt er als One-Man-Show ganz nebenbei ein ganzes Dorf vor dem inneren Auge des Zuschauers auferstehen. Führt vor, wie sich der ganz alltägliche Faschismus, seinen Weg sucht. Die Intrigen, die Ränke, die Gräben, die innerhalb der Familien verlaufen. Auch in Momenten, in denen die Emotionen hochkochen, verrät Peter Bause seine Figuren nicht, gibt sie nie einer Lächerlichkeit preis.

Die Obrigkeit wittert im Dorf schließlich ein „klerikales Widerstandsnest“. Und Schmeinta wird auf jener Bank landen, die seine letzte wird. Ein ernster, ein wichtiger Stoff. Und ein unbedingt sehenswerter Theaterabend.

„Die Judenbank“ bis 4.11., jew. 20.00, Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9–11, Karten unter T. 4133440; www.hamburger-kammerspiele.de