Nach 15 Jahren Dienst an der Berliner Staatsoper unter den Linden ist Friedrich nun der neue Chordirektor an der Hamburger Oper. Von Über-Maestro Daniel Barenboim zu dessen ehemaliger Schülerin Simone Young.

Hamburg. Die Sache mit dem Bayreuther-Festspiele-Rekord, die klingt zwar gut, aber sie stimmt nicht so ganz. 21 Jahre auf dem Grünen Hügel, davon die letzten 13 als Chordirektor und nicht ein einziges Buh eingefangen vom Festspielhaus-Publikum, das ja auch dafür berüchtigt ist? Fast richtig. Einmal wurde Eberhard Friedrich beim Abholen des Schlussbeifalls mit dem „Holländer“-Regisseur Claus Guth verwechselt, der einen ähnlich breiten Scheitel hat, erzählt er. Doch bleibende Schäden am Selbstverständnis hat das scheinbar nicht hinterlassen.

Auf den ersten Blick, bei der ersten Begegnung mit dem Neu-Hamburger wirkt Friedrich wie jemand, der nicht um jeden Preis und unbremsbar ins Rampenlicht hechtet (von solchen Zeitgenossen soll es ja den einen oder anderen geben an Opernhäusern). Friedrich will gewissenhaft seine Arbeit machen, seinen Anteil am Gesamtkunstwerk aus Tönen, Stimmen, Ideen und Kostümen liefern. Er weiß, wo oben und unten ist in dieser sonderbaren Welt, die ein Staatstheater hinter seinen Spielplänen zu bieten hat. „Was wir hier machen, geht nur miteinander. Ich sehe mich da ganz und gar nicht in der zweiten Reihe stehen. Wenn ich meine Arbeit nicht mache, kommt auch der Dirigent letztlich nicht weiter.“

Nach 15 Jahren Dienst an der Berliner Staatsoper unter den Linden ist Friedrich nun der neue Chordirektor an der Hamburger Oper. Von Über-Maestro Daniel Barenboim zu dessen ehemaliger Schülerin Simone Young, von einem der drei Hauptstadt-Häuser an das einzige hier. Schon ein Unterschied, solch ein Wechsel. Erst recht, wenn man zusätzlich seit vielen Jahren im Sommer darauf abonniert ist, den wohl berühmtesten und vielleicht auch besten Opernchor der Klassikwelt vor die Stimmgabel zu bekommen.

Dort auf dem Hügel hatte Friedrich 134 immer wieder aufs Neue handverlesene Stimmen für den Saisonbetrieb, an der Dammtorstraße ist er für etwas über 70 Festangestellte zuständig. Ganz und gar freie Auswahl beim Mischen des Arbeitsmaterials Stimmen ist da nicht. „Das ist kein so großer Unterschied“, findet Friedrich, gänzlich entspannt klingend. „Bayreuth kann man ohnehin nicht mit einem normalen Repertoirehaus vergleichen“, schon vom Spielplan her nicht, auf dem bekanntlich nur die zehn zentralen Stücke des Meisters zugelassen sind. „Mal spielen sie den Parsifal, mal nicht.“

Mit dem Wechsel an die Elbe ist für Friedrich auch verbunden, dass er für sich noch nicht so richtig langfristig planen kann. 2015 endet die Ära Young, und ob und wie es danach mit ihm und Nagano weitergeht, den er schon aus Berliner Produktionen kennt? „Mit der neuen Intendanz wird darüber gesprochen werden.“ Aber das sind noch sehr ungelegte Eier, viel wichtiger und viel näher sind jetzt die drei frühen Verdi-Opern „La Battaglia di Legnano“, „I due Foscari“ und „I Lombardi“, die Friedrich mit vorzubereiten hat, weil sie ab Mitte Oktober als „Verdi im Visier“-Dreierpack beängstigend dicht hintereinander im Premierenplan stehen. Auch das nimmt er vor allem sportlich, als Herausforderung und Chance; sie hätten nun „enorm viel zu tun, in schneller Folge. Das ist ein kluger, super Ansatz fürs Publikum – wann sieht man diese Stücke schon so?“

Ist der Stress zum Einstand überstanden, geht es – irgendwas ist ja immer – ohne größere Verschnaufpausen weiter im Notentext: Wiederaufnahme von „Peter Grimes“, eine neue „Carmen“, später Janaceks „Schlaues Füchslein“, keine ausgesprochene Choroper, aber auch „sehr komplex“, findet Friedrich. Dass ausgerechnet er, der langjährige Bayreuth-Spezialist, Simone Youngs Hamburger Wagner-Wahn in der letzten Saison verpasst hat, ist das eher Pech oder eher Glück? „Ach nein, das hätte ich schon gern mitgemacht.“

Sänger müssen für ihre Engagements vorsingen, wenn ein Musiker ins Orchester möchte, kommt er am Vorspiel mit seinen Haltungsnoten nicht vorbei. Friedrich hatte für seinen neuen Job vorzuproben, den „Holländer“ aus dem Hamburger Stück-Bestand, also wirklich nichts, was ihm musikalisch nicht bekannt wäre, unter anderem auch eine Orchesterprobe mit szenischem Chor. Theoretisch alles kein Problem für einen versierten Profi wie Friedrich, doch „es geht ja nicht darum, ob man das hinkriegt oder nicht“, sagt er. „Das ist die Grundvoraussetzung. Es geht darum, wie man das macht.“ Und dass ihn eine Journalistin neulich fragte, ob er auch selbst singen könne, so als Chordirektor, hat Friedrich sehr amüsiert. „Klar kann ich das, aber eben nicht so wie Frau Netrebko.“

Aufgaben delegieren, aus jedem das Beste herausholen, das sind die Aufgaben, für die Friedrich in seiner Position da ist. Die des Dirigenten am Chef(innen)pult ist eindeutig eine andere, und obwohl beide Tätigkeiten viel mit Taktgefühl zu tun haben, verspürt Friedrich nicht den Drang, sich daran zu versuchen. Schon die Frage, ob ihn der Wechsel auf einen „richtigen“ Dirigentenposten reizen könnte, löst eindeutiges Kontra von ihm aus. „Sie sagen ,richtig‘. Ist meiner falsch? Wenn Sie mich fragen, ob ich mich in der Lage sähe, eine Vorstellung zu dirigieren: Die Antwort ist ja. Aber, und das ist meine Überzeugung, man muss das machen, was man am besten kann. Und mit Chören kann ich.“

Staatsoper-Premieren: „Verdi im Visier“: 20. Oktober „La Battaglia di Legnano“ / 27. Oktober „I due Foscari“ / 10. November „I Lombardi“.