Vor einigen Monaten fanden sich die Einwohner der Städte Saint-Cloud und Versailles in eine vergangene, sittlich zweifellos gefestigtere Epoche zurückversetzt. Die Stadtverwaltung ließ sämtliche Plakate entfernen, die den Kinostart des neuen Films von Alain Guiraudie annoncierten. Einige Bürger hatten Anstoß daran genommen, dass auf ihm zwei Männer zu sehen sind, die sich leidenschaftlich küssen.

Die öffentliche Erregung entlud sich etwas vorschnell; zumal das Plakatmotiv eher beschaulich als obszön anmutet. Hätten sich die Bewohner noch zum Kinobesuch verlocken lassen, wäre ihnen gewiss Hören und Sehen vergangen. Denn „Der Fremde am See“ gehört zu jenen französischen Filmen, die beherzt die Grenze zwischen Autorenfilm und Pornografie aufzuheben suchen.

Selbst wenn der Regisseur auf explizite Großaufnahmen verzichtet hätte, wäre sein Film alles andere als harmlos. Er spielt in einem schwulen Garten Eden, der von einer Mordserie heimgesucht wird. In der flirrend sommerlichen Atmosphäre wird eine Utopie greifbar: Sex ist nicht bloß ein Konsumgut. Franck (Pierre Deladonchamps) ist Stammgast an diesem Strand. Er freundet sich mit Henri (Patrick d’Assumçao) an, der eine gescheiterte Ehe hinter sich und das Interesse am Sex verloren hat. Vor allem fällt ihm jedoch der schöne Michel (Christophe Paou) ins Auge, mit dem er eine heftige Affäre beginnt, an der er auch festhält, als er beobachtet, wie dieser seinen vorherigen Geliebten im See ertränkt.

Im Genre des Nudistenkrimis bleibt Alain Guiraudie der unangefochtene Champion. Nicht nur, weil er es selbst erfunden und noch keine Konkurrenten hat.

+++-- „Der Fremde am See“ F 2013, 97 Min, ab 16 J., R: Alain Guiraudie, D: Pierre Deladonchamps, Christophe Paou, Patrick d’Assumcao, täglich im Abaton, Zeise; www.derfremdeamsee.de