Klaus-Michael Bogdal spricht in der Harbour-Front-Reihe „Stimmen der Freiheit“ über „Europa erfindet die Zigeuner“

Hamburg. Es ist eine Geschichte von Faszination und Verachtung, von Romantisierung und Verfolgung. Die Geschichte des Versuchs von Integration, die nicht bemerkt wird, wenn sie gelingt, die aber um so höhere Wellen schlägt, wenn sie misslingt. Es ist ein Blick auf unfassbar hartnäckige Vorurteile und historisch und geografisch verschieden stark ausgeprägte Schikanierung und Verfolgung, die man sich überall in Europa nicht einfach durch fundierte Fakten und Kenntnisse über jene Fremden in unserer Mitte kaputt machen lässt, die bis heute gern unter dem abwertend benutzten Namen „Zigeuner“ zusammengefasst werden.

Selbst Historiker haben eine gute Chance, während ihres Studiums nie mit der 600 Jahre währenden Historie der Roma-Völker in Europa in Berührung zu kommen. Zur Veranstaltung der Reihe „Stimmen der Freiheit“ auf dem Harbour Front Literaturfestival lenkt Klaus-Michael Bogdal den Blick auf die Sinti und Roma, die seit Jahrhunderten angefeindet, diskriminiert und verfolgt werden. Seine spannende Aufarbeitung „Europa erfindet die Zigeuner“ (Suhrkamp Verlag) wurde mit dem „Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung 2013“ ausgezeichnet. Sie zeigt, wie aus Unkenntnis Vorurteile und Hass entstehen: Er beschreibt eine Bevölkerungsgruppe, die selbst keine große schriftliche Tradition pflegt und sich vielen Normen der fest Ansässigen verweigert hat.

Bogdal, Professor in Bielefeld, hat sich dieser Geschichte der Fremden angenommen, die von 20er-Jahren des 15. Jahrhunderts an von Osten her nach Europa einwanderten, ohne dass die Einheimischen den Grund der Wanderung, die Herkunft der Menschen oder ihre Absichten und Ziele erfahren hätten. Nach knapp 100 Jahren sind sie in fast allen europäischen Ländern zu finden. Man vermutet damals, dass sie aus Ägypten kommen, wohlhabend sind, und versucht, für sie einen Platz in der damaligen Gesellschaft zu finden.

Das scheitert vor allem an der Verweigerung der Sesshaftigkeit. Bald aber beginnt auch die aktive Ausgrenzung, das Verbot, bestimmte Regionen zu betreten, bestimmte Berufe zu ergreifen. Man stellt sie auf eine Stufe mit fahrendem Volk, mit Verbrechern oder Gauklern, treibt sie in die Rechtlosigkeit, überzieht sie mit drakonischen Strafen. Und macht sie langsam vom Gegenbild des „normalen“ Lebens zum Feindbild.

Wobei Kunst und Literatur eine bedeutende Rolle spielen, wie der Literaturwissenschaftler Klaus-Michael Bogdal kenntnis- und faktenreich zeigt. Er seziert unseren Blick auf die Fremden: Unzählige literarische Texte transportieren und zementieren die Vorurteile – dass sie Zauberer, Heiden und Gefährten des Satans seien, dass „die schöne Zigeunerin“ aus den Wäldern ehrbare Bürger ins Verderben lockt, dass sie Kinder entführen, Geheimnisse hüten und wahrsagen können. Aufklärungsresistente Vorurteile – selbst noch nach dem Völkermord durch die Nazis – bis heute, wo bei uns weit mehr als 90 Prozent der Roma sesshaft sind.

Eine notwendige Aufklärung: zu sehen, woher die Ausgrenzung ihren emotionalen Treibstoff bezieht. Die Hoffnung der Macher von „Stimmen der Freiheit“: dass das Nachdenken über Klischees und tief sitzende Ängste hilft, die Anfeindung einzudämmen und die beschämende „Fähigkeit zur Entzivilisierung“ im Umgang mit „Zigeunern“ zurückzudrängen. Und hoch aktuell, da in Rumänien, Ungarn, im Kosovo, in Bulgarien, Tschechien und der Slowakei die Ressentiments immer bedrohlicher werden – was längst verstärkte Zuwanderung nach Deutschland zur Folge hat.

Stimmen der Freiheit: Europa erfindet die Zigeuner. Mit Klaus-Michael Bogdal, Moderation: Hans-Juergen Fink (Abendblatt). Freitag, 20.9., 19.00; Gruner+Jahr-Auditorium, Am Baumwall 11. Karten: 12,- unter T. 0180/501 57 30