In der „Tatort“-Folge „Gegen den Kopf“ geht es um Zivilcourage und um die Gewaltexzesse frustrierter Jugendlicher

Als dieser Berliner „Tatort“ gedreht wurde, konnte man von den Machenschaften der NSA noch nichts wissen. Aber es ist ja nicht so, dass den Deutschen nicht schon vor der Aufdeckung der Kommunikationsabzapfereien durch Amis und Engländer schon ab und an unwohl gewesen wäre angesichts der Komplettüberwachung des öffentlichen Raums beispielsweise.

Am Alexanderplatz wurde unlängst der Jugendliche Jonny K. getötet

In „Gegen den Kopf“ diskutieren die Ermittler Till Ritter (Dominic Raacke) und Felix Stark (Boris Aljinovic) auf einer Autofahrt durch das unwirtliche Berlin ein bisschen schnoddrig über Datenschutz (Stark demonstrierte einst gegen die Volkszählung – lange her), aber ohne Überwachungskameras bekämen sie ihren Fall nicht gelöst. Und auch nicht ohne die Handyverbindungsdaten, die sich die Kriminaler beschaffen dürfen. Auch bei der Polizei sitzen Leute, die sich in Digitalwelten auskennen, die wissen, was eine Cloud ist und sowieso Computerkennwörter knacken können.

Der Fall ist schnell erzählt: Ein Fahrgast wirft sich in einer U-Bahn zwischen einen Alten und zwei präpotente Jugendliche, die ein bisschen Lust darauf haben, unbescholtene Bürger zu tyrannisieren, und außerdem unter Geldmangel leiden. Wenig später liegt er tot an der U-Bahn-Station – und Ritter/ Stark haben einen Mordfall zu klären. Von der Chefin gibt es gleich Feuer („Sie können sich vorstellen, wie groß der öffentliche Druck ist“), man ist schließlich in Berlin, und Assoziationen mit der Wirklichkeit dürfen sich durchaus einstellen beim Zuschauer.

Am Alexanderplatz musste unlängst der Jugendliche Jonny K. sterben, weil einige seiner Altersgenossen zu Gewaltexzessen neigen. Dieser „Tatort“ (Drehbuch und Regie: Stephan Wagner) vermengt auch den Fall Dominik Brunner – im Laufe der Ermittlungen wird sich herausstellen, dass der Tote bei dem Überfall eine Herzattacke erlitt – und berührt deshalb unangenehm. Denn die Angst des Bürgers vor dem Ernstfall begleitet jeden Großstädter: Wie würde ich reagieren, wenn Zivilcourage gefragt ist?

Der „Tatort“ führt den Wegschau-Modus, in dem sich die meisten befinden, ganz realistisch vor. Wer wären wir, verurteilten wir die Angsthasen und Vorbeigeher? Hier stirbt gerade der, der Mut hatte – aber ihm hilft niemand. Der Zuschauer kennt die Täter, weil er sie gleich in der ersten Szene sieht – und trotzdem bleibt der Krimi spannend.

Das liegt daran, dass das Drehbuch auch noch einen Nebenstrang eingebaut hat, der für die Haupthandlung nicht unbedingt notwendig ist, aber trotzdem die Arbeit im Kommissariat in ein Schlaglicht rückt. Es gibt einen Maulwurf, der der Presse Informationen steckt – so einer ist schnell untendurch bei den Kollegen.

„Es gibt keinen Grund“, sagt der Delinquent des Kriminalfalls im Verhörzimmer zu den Ermittlern; der Nihilismus eines jungen Mannes aus gutem Hause, der von Jannik Schümann ekelig arrogant gespielt wird, verstört am Ende gar nicht. Warum sollen es nur die Kerle aus den schwierigen Milieus, die Migranten und Deklassierten sein, die zutreten? Der vorbestrafte Heimbewohner, der mit dem Schnösel um die Häuser zieht, kommt bei Edin Hasanovic herrlich straßengangstermäßig rüber: Bei dem würde man auf jeden Fall die Straßenseite wechseln. Nicht nur wegen des Castings ist „Gegen den Kopf“ ein guter, ein aktueller Krimi.

Es stört nicht nur nicht weiter, dass das Ermittler-Duo eher konturlos im Hintergrund des Plots steht. Nein, das ist sogar gut – es ist ja am Schluss auch die Technik, die für die Auflösung des Falls am wichtigsten ist. Schade, dass sie einem meist erst hilft, nachdem böse Menschen Böses getan haben.

„Tatort: Gegen den Kopf“, 8.9., 20.15 Uhr, ARD