Erfolgsautor Sven Regener über sein neues Buch „Magical Mystery“, eine Abenteuergeschichte aus der Techno-Szene

Berlin. Es ist Mitte der 1990er-Jahre, als Karl Schmidt, Bewohner einer drogentherapeutischen Einrichtung in Hamburg-Altona, im Eiscafé sitzt und von einem alten Kumpel wiedergefunden wird. So beginnt Sven Regeners neuer Roman „Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt“. Karl, auch Charlie genannt, war einmal der beste Freund von Herrn Lehmann, jener Romanfigur, die Regener mit drei Millionen verkauften Büchern zu einem Bestsellerautor machte.

Auch die auf „Herr Lehmann“ folgenden Romane „Neue Vahr Süd“ und „Kleiner Bruder“ verkauften sich zu Hunderttausenden. Nun kommt ein verrückter Roman über Freunde aus dem Dunstkreis von Herrn Lehmann. Die alten Freunde, mittlerweile zu Ruhm und Reichtum gelangt, wollen mit ihrem Plattenlabel auf einer Tour durch Deutschland den Rave der 90er mit dem Hippiegeist der 60er versöhnen und brauchen dazu einen, der immer nüchtern bleiben muss. So beginnt eine Reise durch ein Land und eine Zeit im Umbruch, unternommen von einer Handvoll Techno-Freaks, betreut von einem psychisch labilen Ex-Künstler, für den dies der Weg zurück in ein unabhängiges Leben sein soll. Wir sprachen mit Sven Regener über seine Arbeit als Musiker und Schriftsteller.

Hamburger Abendblatt:

Nur über das, was man kennt, kann man gut schreiben. Wie viel von Ihrer Erfahrung als Musiker ist eingeflossen in Ihren Roman über eine Tournee, die eine Gruppe erfolgreicher Techno-DJs – Sie betonen, dass es Techno und nicht Tekkno ausgesprochen wird – durch Deutschlands Clubs macht?

Sven Regener:

Eigentlich alles, wenn es darum geht, wie die Übernachtungen in den immer gleichen Hotels sind, das Frühstück mit den labberigen Wurstscheiben. Andererseits schreibe ich nicht über Rockmusiker, sondern über Leute, die Techno-Musik machen, also auflegen. Damit habe ich nicht viel am Hut. Ich bin halt Rockmusiker. Aber ich habe vieles davon durch meine Frau kennengelernt. (Charlotte Goltermann hat ab Mitte der 90er-Jahre in Hamburg unter dem Label Ladomat und bei Motor Music elektronische Musik heraus gebracht.) Sie hatte ein Elektro- und Dance-Label. So bin ich in den Backstage-Bereich der DJs gekommen. Das sind tapfere Leute, die ständig herumfahren und auflegen. Die können eine Menge vertragen. Das, was meine Leute im Roman erleben, mag heftig sein, ist aber nichts, was sie umhauen würde. Im Rock ’n’ Roll gibt es ja meist noch einen Spießer, der immer was von Tonarten erzählt. Solche Leute gibt es unter den DJs nicht. Bei denen kommt es darauf an, Party zu machen. Und sie freuen sich, wenn sie mal als Gruppe was unternehmen können, weil sie normalerweise ja immer alleine sind. Dafür haben sie tolle Geschichten, die sie von überall mitbringen. Wie Seeleute. Das hat mir immer gut gefallen.

Karl Schmidt war jahrelang in der Psychiatrie, lebt in Hamburg in einer betreuten Wohnung und muss abstinent bleiben. Seine Ex-Kumpels engagieren ihn, um sie auf ihrer Tour zu fahren, weil er Alkohol und Drogen verschmäht.

Regener:

Er wird Anfang der 90er-Jahre in Altona, in der Drogen-WG, von seinen Kumpels wiederentdeckt. Die sind mittlerweile mit einem Techno-Label schwer reich geworden. Zwischen 1989 und 1995 waren die goldenen Jahre von Techno. Karl möchte den Sprung zurück in ein Leben ohne Betreuung wagen, das ist für ihn ein großes Abenteuer. Für die anderen ist natürlich die Tour das Abenteuer. Die sind in Wahrheit noch verrückter als Karl.

Ihre Figuren sind total abgedreht. Wieso sind die so reich?

Regener:

Auch in einer Steuerbehörde in Gütersloh kann man abgedreht sein, wenn man sich mit Formular 78650Querstrich3 beschäftigt. Da gibt es genauso viele Freaks wie unter DJs oder Musikern. Jedes Leben ist speziell. Reich sind sie, weil sie musikalisch hoch professionell sind und zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Normalerweise ist man arm, wenn man zur Avantgarde gehört, diese Leute hier sind Avantgarde und reich. Das ist sehr selten. Damals waren die Kühlschränke der Mitarbeiter der Labels randvoll mit Champagnerflaschen. Im Popkulturbereich ist das heute eher vorbei, aber es gibt immer noch viele DJs, die international unterwegs sind. Der Unterschied zwischen ihnen und Rockmusikern ist, dass Musiker Texte machen, Songs komponieren. Bei den Techno-Leuten geht es um Tracks, Tanzbarkeit, Sound und darum, gute Stimmung zu machen, damit getanzt wird.

Karl Schmidt ist, ähnlich wie Herr Lehmann, auch ein Außenseiter, der klare Regeln hat, aber auch alles zulässt.

Regener:

Der Unterschied ist aber, dass Frank Lehmann zu allem schon vorher ein Urteil hatte. Meist kam es dann genau anders, das war komisch. Karl Schmidt wertet nicht. Er ist ein riesengroßer Kerl, der sehr in sich selbst ruht. Weil er nie eine Meinung hat, ist er auch unberechenbar. Der Frau, in die er sich verliebt hat, die Frage zu stellen, „hättest Du kein Problem damit, wenn ich wieder nach Berlin käme?“, ist schon das äußerste an Gefühl, das er zulässt. Für ihn ist es angenehm, dass er bei der Tour mitmachen kann. Da geht es nicht um so Psychothemen wie „Was denkst du gerade, wie bist du drauf?“. Musiker in einer Band reden gern mit- und übereinander und kennen sich meist schon lange. Bei dieser Tournee der DJs ist das anders. Da ist eine gewisse Grundkälte, die ihm entgegenkommt.

Sie haben früher schon erklärt, dass Sie eventuell eine Figur aus „Herr Lehmann" zum Romanhelden machen würden. Wie lange denken Sie schon über Karl Schmidt nach?

Regener:

Er war mir eigentlich immer schon der Liebste von allen. Er hatte immer etwas Freies. Jetzt hat er zwar einen Sprung in der Schüssel, aber er ist weniger spießig als Frank Lehmann. Außerdem ist er sprachgewaltig, stark im Dialog. Warum soll ich mir neue Figuren ausdenken, wenn ich schon genug spannende habe?

Sie haben zwei Berufe. Was haben Sie von der Musik gelernt? Und was vom Schreiben?

Regener:

Man braucht in beiden Berufen ein Grundvertrauen und einen selbstkritischen Blick. Nicht jede Idee, die man hat, ist gut. Als Musiker habe ich das Üben gelernt. Nicht nur, dass man viel üben muss. Ich habe auch gelernt, es zu lieben. Es kann zu einer meditativen Angelegenheit werden. Musik hinterlässt nichts Bleibendes, alles, was ich übe, hat niemand außer mir selbst gehört. Aber ich mag es. In der Literatur habe ich Ausdauer gelernt. Ich musste anderthalb Jahre an diesem Buch dranbleiben. Beim Schreiben ist man alleine, das ist ein Vorteil und ein Nachteil. Mir redet dabei niemand rein. Musik machen wir in der Gruppe (Element of Crime), man kann sich dann nicht so leicht verrennen. Ich habe durch die Musik den Mut zum Imperfekten gelernt. Das hilft mir auch in der Literatur. Manchmal schreibe ich drauflos und wühle mich danach anarchisch durch das Material, das ich habe. Das passiert mir mit 3-, 4-Minuten-Songs nicht.

Wenn Sie einen Song schreiben, haben Sie da erst den Text?

Regener:

Nein, die Musik. Immer erst die Musik. Dann hat man die Stimmung und sucht dazu die passenden Worte.

Und beim Schreiben?

Regener:

Da habe ich zuerst eine Figur. Über die und mit der schreibe ich eine Szene. Meine erste Idee für ‚Magical Mystery’ war, dass Karl Schmidt in Hamburg in einer betreuten Einrichtung lebt und auf eine Tour geht. Außerdem sollte es eine Ich-Erzählung sein. Ich schreibe chronologisch. In diesem Fall habe ich 30 Kapitel und einen Tourplan durch 20 Städte. Wie bei jedem guten Abenteuerroman muss es am Ende gut ausgehen. Oder jedenfalls nicht schlecht.

Sie sind Bestsellerautor, haben 150 Songs geschrieben. Wozu haben Sie am meisten Lust?

Regener:

Dem, was ich gemacht habe, noch etwas Besseres hinzuzufügen. Obwohl – ich werde immer die gleiche Art von Büchern schreiben. Und man sollte das Neue nicht gegen das Bisherige machen, das wäre ein negativer Ansatz.