Der Tag des offenen Denkmals rückt an diesem Wochenende Bauwerke in den Blick, die es den Betrachtern nicht leicht machen. Den Jugendstil hielt man in den 1950er-Jahren für peinlichen Kitsch.

Mit der Entscheidung, den Tag des offenen Denkmals in diesem Jahr den „unbequemen Denkmalen“ zu widmen, hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz Mut bewiesen. Kaum jemand wird bestreiten, dass gotische Kirchen und barocke Schlösser für die Nachwelt erhalten werden sollen. „Schöne Denkmäler“ brauchen in der Regel keine Lobby, aber was wir heute als schön und erhaltenswert empfinden, galt vor 20 oder 30 Jahren unter Umständen als hässlich und überflüssig.

So hielt man zum Beispiel den Jugendstil in den 1950er-Jahren für peinlichen Kitsch, den Historismus des späten 19. Jahrhunderts tat man vor drei Jahrzehnten als eine architekturgeschichtliche Epoche ab, deren Zeugnisse bedenkenlos preisgegeben werden durften. Heute betrachten wir mit Wehmut Fotos von neogotischen Herrenhäusern, neobarocken Kirchen und Jugendstilvillen, die vor 20 Jahren der Spitzhacke zum Opfer fielen. Dagegen sind uns die architektonischen Zeugnisse der 1950er- bis 1970er-Jahre merkwürdig fremd. Die Nachkriegsmoderne, die Hamburgs Wiederaufbau nach 1945 stark geprägt hat, empfinden die Enkel der Erbauergeneration vielfach als städtebaulich-architektonische Zumutung. Den Esso-Häusern, die demnächst wohl aus dem Stadtbild verschwinden, dürften die meisten Hamburger keine Träne nachweinen. Und dass Gebäude aus den 1960er- und 1970er-Jahren unter Denkmalschutz gestellt werden, halten viele für Unsinn. Manchmal braucht es einfach Zeit, bevor wir Architektur emotionsfrei zu betrachten und zu beurteilen vermögen. Gerade deshalb sollte uns bewusst sein, dass Geschmack eine höchst wandelbare Größe ist. Während man es 1970 als befreiend empfand, den schnörkeligen Stuck von den Fassaden gründerzeitlicher Häuser in Eppendorf abzuschlagen, treibt eine über alle Zeiten hinweg erhalten gebliebene Stuckfassade heute den Immobilienpreis in die Höhe.

Vielleicht beurteilt man in 20 Jahren die Nachkriegsmoderne viel positiver

Und auch wenn wir es uns vielleicht nicht vorstellen können, mag man die betonseligen Hervorbringungen der Nachkriegszeit in zwei oder drei Jahrzehnten als interessant empfinden. Oder vielleicht sogar als schön? Bis es so weit sein wird, sind diese Bauwerke allerdings unbequem. Denkmäler werden nicht über den gerade herrschenden Geschmack definiert, entscheidend ist vielmehr, dass sie aussagekräftige Zeugnisse einer zurückliegenden Epoche sind. „Zu den unbequemen Denkmalen zählen viele Bauten, die heute aufgrund der politischen und sozialen Umstände ihrer Entstehungs- oder Nutzungszeit – in unterschiedlichem Ausmaß – ein gewisses Unbehagen oder sehr negative Gefühle auslösen“, heißt es auf der Internetseite der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

Und das trifft nicht nur für die kargen Bauten der Nachkriegsmoderne zu, sondern auch für Bunker-, Festungs- und Verteidigungsanlagen, für Kriegerdenkmale und Kriegsgräberstätten aus dem frühen 20. Jahrhundert, selbstverständlich für Konzentrations- und Arbeitslager, für Verwaltungs- oder Versammlungsbauten der NS-Zeit. Wir betrachten diese Bauwerke mit negativen Gefühlen, weil sie Ausdruck von Krieg und Unterdrückung, von Leid und Tod sind. Und im Gegensatz zu den baulichen Zeugnissen der Nachkriegsmoderne, deren Wert vielleicht von künftigen Generationen anders eingeschätzt wird als in der Gegenwart, blieben diese Denkmale dauerhaft unbequem.

Trotzdem sollten beispielhafte Bauten dieser Art erhalten werden, gerade weil sie uns Geschichte unmittelbar vor Augen führen. Das von Richard Kuöhl entworfene 76er-Denkmal am Dammtor ist zum Beispiel ein befremdliches Beispiel steingewordener NS-Ideologie, aber zugleich ein Mahnmal, das heute ganz anderes wirkt, als seine Schöpfer geplant hatten. Und diese Wirkung würde das Monument vermutlich auch ohne das von Alfred Hrdlicka ergänzte „Gegendenkmal“ entfalten. Als unbequeme Denkmale erweisen sich auch einige der zahlreichen Kirchen, die beim Wiederaufbau Hamburgs in der Nachkriegszeit entstanden sind. Nachdem sich die Bevölkerungsstruktur in den letzten Jahrzehnten dramatisch gewandelt hat und die Mitgliedschaft in einer der beiden großen Kirchen längst nicht mehr als selbstverständlich gilt, sind viele der kleiner gewordenen Gemeinden mit der Erhaltung der Gebäude überfordert. Aber da ein Bauwerk nur dann auf Dauer bestehen bleiben kann, wenn es genutzt wird, ist es notwendig, für diese Kirchen neue Funktionen und angemessene Nutzungen zu finden.

Wie unbequem und schwierig solche Entwicklungen sein können, hat sich am Beispiel der ehemaligen evangelisch-lutherischen Kapernaum-Kirche in Hamburg-Horn (Sievekingsallee 191) gezeigt, die im November 2012 an das islamische Zentrum Al-Nour verkauft worden ist. Es gab Stimmen, die es besser gefunden hätten, wenn dieses eindrucksvolle Zeugnis der Nachkriegsmoderne abgerissen worden wäre. Jetzt wird die Kirche als Moschee erhalten, wer sie vor dem Umbau noch einmal besichtigen möchte, hat am Sonnabend von 13 bis 16 Uhr die vielleicht letzte Gelegenheit.