Die Galerie Levy zeigt neue Arbeiten des britischen Pop-Art-Künstlers Allen Jones. Der ärgert sich über die Preise, die er mit seiner Arbeit erzielt

Hamburg. Es war ein ulkiger, wohl auch ein etwas unheimlicher Moment. Auf Empfehlung eines Freundes besuchte der britische Pop-Art-Künstler Allen Jones im Frühjahr eine Ausstellung im Barbican in London, die das Verhältnis zwischen Duchamp, Cage, Rauschenberg und anderen großen Namen der Kunst des 20. Jahrhunderts beleuchtete. Allen Jones, er wurde vor wenigen Tagen 76, war allein in den Räumen. „So konnte ich in aller Ruhe mit den Werken Zwiesprache halten“, erzählt er. Als Jones am Ausgang im Begriff war, an der Kasse den Katalog zu kaufen, hielt er inne. „Ich befand mich in einer kunsthistorischen Ausstellung. Aber plötzlich wurde mir klar, dass ich die ausgestellten Künstler alle persönlich kannte. Sonst fühlt man sich in Museen wie in einer anderen Welt, zu der man eine gewisse objektive Distanz behält. Hier war ich wie unter Freunden. Es war, als würde ich vergessene Stellen in alten Tagebüchern wiederlesen.“

Allen Jones ist eine lebende Legende der bildenden Kunst, und wie so viele legendäre Figuren ist er sich der eigenen Legendenhaftigkeit offenbar keineswegs pausenlos bewusst. Schon gar nicht trägt er sie vor sich her. Nach wie vor geht er in seinem Haus in London, unten die Wohnung, oben das Atelier, seinem malerischen Tagwerk nach. Nach wie vor schlägt er sich mit den gleichen künstlerischen Herausforderungen rum, die ihn schon ein halbes Jahrhundert lang beschäftigen. Wie bringe ich welche Farbe und welche Linien auf die Leinwand, und warum?

Jones, ein kahlköpfiger Mann mit blauen Augen, feinen Gliedern und ebenso feinem britischen Humor, ist wieder einmal in Hamburg, einer Stadt, die in seinem Lebenslauf schon lange eine eigene Farbe besitzt. Hier hat er auf Empfehlung Paul Wunderlichs in den 60er-Jahren als Gastdozent an der HfBK unterrichtet, hier stellt er seit 45 Jahren seine Bilder aus, seit 1995 bei der Galerie Levy. Dort ist jetzt neben Lithografien und Skizzen auch einiges aus Jones’ neuem Zyklus „Melody Maker“ zu sehen, farbintensive Malerei in teilweise extravaganten Formaten und auf ungewöhnlichen Untergründen.

Problematischen Ruhm erntete Allen Jones 1969 mit seinen drei „Furniture Pieces“, Skulpturen in Form einer Hutablage, eines Tischs und eines Sessels, deren bestimmende Elemente drei devot ihre Möbeldienste anbietende Frauengestalten in Lack und Leder sind. Unglücklicherweise traf den freundlichen Mister Jones deswegen der Hass der Feministinnen, er schlägt ihm mitunter auch heute noch entgegen, und es nützt gar nichts, dass er stets beteuerte, auf ihrer Seite zu sein. Jones wird leise, wenn man ihn fragt, ob ihn die Anfeindungen verletzt hätten. „Ja, das war ziemlich destruktiv. Darüber reden machte es nicht besser. Was immer ich vorbrachte, klang wie eine Entschuldigung. Ich wollte doch mit den Arbeiten den Kunstkanon beleidigen, nicht die Mehrheit der Menschheit.“

Jones ließ damals sechs Sets der Möbeldamen anfertigen. Eines befand sich im Nachlass des durch Freitod aus dem Leben geschiedenen Playboys Gunter Sachs. Im Januar ging es bei Sotheby’s für 2,6 Millionen Pfund weg, geschätzt waren die Stücke auf zwischen 30.000 und 40.000 Pfund. „Das war lächerlich niedrig“, sagt Jones leicht indigniert. „An Auktionshäusern vorbei hatten die Stücke aus anderen Sammlungen für viel höhere Preise den Besitzer gewechselt.“ Den Preis, der schließlich erzielt wurde, findet Jones allerdings genauso albern. „Es bläst einem das Hirn aus der Schale, wenn man zu viel über so etwas nachdenkt. Ich finde es natürlich fein, wenn meine Arbeit viel Geld einbringt, aber diese exponentielle Preisentwicklung kann einem das Leben schon schwer machen.“

Auch die Summe, die in drei Wochen bei Christie’s für eines seiner jüngsten Werke aufgerufen werden wird, will Jones am liebsten gar nicht hören. Das Erstgebot für „Kate Moss (Bronze Glitter)“, eine Fotografie, soll zwischen 20.000 und 30.000 Pfund liegen. Das Bild zeigt das Model in einer bronzefarbenen Rüstung. Wie so oft bei Jones, dem von Lycra, Latex und allen eng am Körper anliegenden Textilien entzückten Künstler, gibt der Panzer mehr von den Konturen und Volumina des Körpers preis als er verbirgt. Allerdings handelt es sich bei der Rüstung um Recycling; Jones hat sie vor 30 Jahren für ein nie realisiertes Filmprojekt entworfen, seitdem lagert sie in seinem Atelier. Kate Moss musste sich auf Telefonbücher stellen, um reinzupassen.

Eines der Bilder, die bei Levy hängen, zeigt, auf Holz gemalt, die Rückansicht einer Frau auf High Heels in einem vom Saum bis über die Pobacken aufgeschlitzten, knöchellangen Kleid. Aus dem in Brauntönen gehaltenen umgebenden Raum schauen hohläugig von Schaufensterpuppen abgeschnittene, aufgeklebte Gesichter. Was wie eine geträumte voyeuristische Theater- oder Nachtclubszene in einem typischen, die Begrenzung des Zweidimensionalen sprengen wollenden Jones-Setting aussieht, hat einen weit zurückliegenden Hintergrund, der dem Maler erst nach der Fertigstellung aufgegangen sein will: Im Apollo Theater in Harlem sah Jones in den 60ern einmal die Supremes, die sich von ihrem bis dahin eher zurückhaltend begeisterten Publikum derart verabschiedeten, dass bei ihrem Abgang von der Bühne die mit einem rückwärtigen Reißverschluss gehaltenen Kleider durch einen von fern gesteuerten Mechanismus synchron bis zur Taille aufgerissen wurden. Dieser Anblick riss dann auch endlich die Männer im Apollo aus ihren Sitzen. Nur waren die Kleider der Supremes, Jones erinnert sich ganz genau, nicht blau wie auf seinem Bild. Sie waren grün.

„Allen Jones. Melody Maker“ Galerie Levy, Osterfeldstr. 6. bis 9.10., Di–Fr 10–18 Uhr