„Panorama“ widmet sich heute den schwierigen Bedingungen an einer Wilhelmsburger Schule, die für viele andere steht. „Lehrer am Limit“ heißt der Beitrag.

Hamburg. Die heutige Ausgabe des ARD-Politmagazins „Panorama“ ist ein wenig anders als sonst. Genau genommen gibt es nur einen einzigen Beitrag: den Film „Lehrer am Limit“ von Anja Reschke und Birgit Wärnke, der in leicht geänderter Fassung bereits am 4. Juni im NDR-Fernsehen bei „Panorama – Die Reporter“ zu sehen war.

Im Prinzip handelt es sich dabei um einen Dokumentarfilm, der zugleich so etwas wie ein Selbstversuch ist. Anja Reschke hat vier Wochen Lehrer der Stadtteilschule Stübenhofer Weg in Wilhelmsburg begleitet und dabei auch selbst unterrichtet. Ziemlich schnell wird deutlich, dass die Fernsehjournalistin mit dieser Aufgabe überfordert ist. Sie kommt mit den Kindern nicht klar. Bei einem mündlichen Englischvokabeltest sieht sie, wie eine Schülerin eine andere tritt. Sie stellt das Mädchen zur Rede. „Darf man andere treten?“, fragt sie. „Ja“, sagt das Mädchen. „Möchtest du, dass man dich tritt?“ Die Schülerin bejaht auch diese Frage mit einem schon fast belustigten Unterton. Reschke ist mit ihrem Latein am Ende. „Ich habe nichts in der Hand“, sagt sie im Off. „Ich fühle mich wie ein Versager. Und diese Kinder sind erst zwölf.“

Das Scheitern der Journalistin als Lehrerin hat nichts damit zu tun, dass sie als Pädagogin ungeeignet wäre. Es liegt vielmehr in der Natur der Sache. In der Klasse, in der sie unterrichtet, haben sechs von 22 Schülern Lernschwächen. Umgekehrt gibt es zu wenig Leistungsstarke, die die Schwachen unterstützen könnten.

Unser Schulsystem wird der Realität an deutschen Schulen nicht gerecht

Die Klasse 6b, in der Reschke drehte, ist dabei kein Einzelfall. Solche Klassen gibt es in vielen Schulen. Vielleicht nicht unbedingt in denen, die in besseren Vierteln liegen. Andererseits gibt es weitaus schlimmere soziale Brennpunkte als Wilhelmsburg.

Das deutsche Schulsystem ist darauf nicht vorbereitet. Es geht nach wie vor davon aus, dass alle Schüler einer Klasse ungefähr auf dem gleichen Lernniveau sind. Weil dem aber längst nicht mehr so ist, müssen die Lehrer aus unterschiedlichen Schulbüchern Aufgaben mit verschiedenen Schwierigkeitsgraden kopieren. Klassenarbeiten werden in zwei Fassungen geschrieben – eine für die Lernschwachen, eine für die etwas Stärkeren. Im Prinzip müsste jede dieser Klassen von zwei Lehrern unterrichtet werden, was aber nur selten der Fall ist. Die Pädagogen arbeiten also am Limit. Jeder dritte von ihnen gibt an, unter Schlafstörungen zu leiden. 80 Prozent fühlen sich überlastet. Die Lernschwachen bleiben dennoch auf der Strecke. „Können wir es uns leisten, einige Schüler einfach aufzugeben?“, lautet der letzte Satz des Films.

Bei seiner Erstausstrahlung stieß „Lehrer am Limit“ auf große Resonanz. Dies hat den NDR bewogen, den Film nun auch im Ersten zu zeigen. Allerdings macht die Doku wenig Hoffnung.

Um diese verstörende Grundstimmung ein wenig aufzufangen, lässt die ARD um 22.45 Uhr Reinhold Beckmann und seine Gäste über das Thema diskutieren. Zu ihnen zählen neben TV-Journalistin Reschke, der Schulleiter der Stadtteilschule Stübenhofer Weg, Kay Stöck, die Lehrerin Betül Durmaz, die an einer Gelsenkirchener Förderschule mit hohem Migrantenanteil unterrichtet, der Lehrer und Jurist Günther Hoegg sowie der OECD-Bildungsexperte und PISA-Koordinator Andreas Schleicher. Zudem sind zwei Schülerinnen der IGS Göttingen zu Gast, die 2011 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet wurde. Angefragt war auch Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, der aber wegen Terminschwierigkeiten absagte.

In Senderkreisen heißt es, die Schulbehörde habe auf den Film sehr reserviert reagiert. Seine Vorführung in der Schule Stübenhofer Weg habe sie untersagt. Über das Mitwirken von Schulleiter Stöck sei die Behörde nicht begeistert gewesen. Jedoch sollen die Irritationen mittlerweile beseitigt sein. Beim NDR glaubt jedenfalls keiner der Verantwortlichen, Rabe habe die Terminschwierigkeiten nur vorgeschoben.

Panorama: „Lehrer am Limit", heute ARD, 21.45 Uhr; Beckmann, heute ARD, 22.45 Uhr