Der deutsche Reggae-Sänger Patrice gab am ganz frühen Mittwochmorgen ein Open-Air-Konzert am Elbstrand

Hamburg. Gut 400 verschlafene Augenpaare blicken in nahezu genauso viele Kaffeebecher oder träge in die Gegend. Gegähnt wird mehr oder weniger unverhohlen, wer eine Decke dabei hat, wickelt sich hinein. Gespräche drehen sich darum, ob man viel zu wenig oder überhaupt nicht geschlafen habe.

Nein, wie ein aufgeregtes Konzertpublikum sieht das müde Menschenknäuel nicht aus, das sich am Mittwoch kurz vor Sonnenaufgang am Elbstrand versammelt hat. Doch der Eindruck täuscht. Als Reggae-Sänger Patrice zum einsamen Barhocker kommt, um den herum die freiwilligen Frühestaufsteher einen formschönen Kreis gebildet haben und seine Akustikgitarre einstöpselt, wird es zum ersten, aber nicht zum letzten Mal laut.

Zur Bewerbung seines in einer guten Woche erscheinenden neuen Albums „The Rising of the Son“ hat der gebürtige Kölner ganz tief in die Wortspielkiste gegriffen. Und dort wider morgenmuffeligen Erwartens etwas überraschend Schönes gefunden. Sein Sonnenaufgangskonzert zu – gerade für Musiker – nachtschlafender Uhrzeit macht trotz der Wortklauberei erstaunlich viel Spaß. Der Blick schweift über die Elbe und zu den ersten Containerschiffen des Tages, im Westen versinkt der Vollmond, im Osten wird es zusehends heller. Es ist 6.15 Uhr.

Zwar braucht es ein wenig Zeit (und eine Menge Kaffee aus Strandperle und -kiosk, die angenehmerweise geöffnet haben), bis alle Anwesenden tatsächlich wach und voll dabei sind. Aber die Grundstimmung passt, ist aufgrund von Umfeld und Uhrzeit ent- und gleichzeitig gespannter als bei einem Club-Auftritt. Mit den Rahmenbedingungen hat Patrice wenig Probleme, wie er sagt: „Bei mir sind Nacht und Tag eh immer etwas verschwommen. Hauptsache, ich bekomme ein gewisses Kontingent an Schlaf.“ Die Auftakt-Songs vom neuen Langspieler, „Hippies With Guns“ und „Alive“, klingen trotzdem noch etwas übernächtigt. Aber als bei „Boxes“ das Tempo steigt, stimmen nicht nur die Töne, es wird auch zunächst zaghaft, dann zunehmend enthusiastisch mitgeklatscht.

Schnell wird aus dem Promo-Gig ein richtiges Konzert, in dem neue und alte Songs gleichberechtigt nebeneinander stehen. Das 13 Jahre alte „Lions“ und das brandneue „Cry Cry Cry“ finden gleichermaßen Zuspruch. Und bei Hits wie „Up In My Room“ oder „Soulstorm“ könnte man schließlich meinen, es mit einem Sonnenuntergangs- statt eines Sonnenaufgangskonzert zu tun haben, auf das noch eine sehr lange Partynacht folgen wird. Die Uhrzeit ist egal, der folgende Tag auch. Hauptsache, die Musik hört nicht auf.

Den Wunsch nach Melodien und Rhythmen erfüllt schließlich nicht nur der Reggae-Sänger, sondern auch einer der Zuschauer. „Patrice! Patrice! Patrice! Ich möchte gern ein Lied für dich spielen.“ Chuzpe hat er, der junge Mann mit dem Vollbart. Und zum Glück auch musikalisches Talent. Nachdem Patrice ihm grinsend die Gitarre in die Hand gedrückt hat, legt Mr. Marc mit einer mächtigen Cover-Version von „No Excuse“ los: ein Patrice-Song, was sonst? Sein Lohn ist nicht nur stürmischer Applaus. Sondern, nachdem dann um 7.20 Uhr tatsächlich endgültig Schluss ist, ein Autogramm von Patrice auf der eigens mitgebrachten Gitarre. Und ein Lob von Künstler zu Künstler: „Respekt für den Mut, ich bewundere das. Und er hat ´ne coole Stimme.“

In einigen Hamburger Büros und Schulklassen wird man sich über die sandigen Fußspuren gewundert haben – und über schlaftrunkene, aber glückliche Kollegen und Mitschüler.