Regisseur David Wnendt hat Charlotte Roches Bestsellerroman „Feuchtgebiete“ verfilmt – als Selbstfindungsgeschichte

Hamburg. Nur die allerwenigsten Menschen wollen am Frühstückstisch über Hämorriden und Intimfrisuren sprechen. David Wnendt schon. Besser gesagt: Es ist für ihn in diesen Tagen vor dem Kinostart beinahe ein Ritual geworden, wildfremde Menschen von einem Bildercocktail aus Sperma, Eiter, Blut und Urin zu überzeugen. So etwas härtet ab. Kein Grund also, auf Käsebrötchen und Kaffee zu verzichten. Ohnehin legt der Regisseur großen Wert darauf, dass sein Film kein ausgewiesener Ekelschocker ist. Vielmehr ein Coming-of-Age-Drama, das die Selbstfindung mit Umweg über die Kloschüssel erreicht. Es ist die Geschichte von Helen Memel (Carla Juri), die nach einer aus dem Ruder gelaufenen Rasur mit Analfissur auf dem OP-Tisch landet.

David Wnendt hat „Feuchtgebiete“ verfilmt. Das knapp drei Millionen Mal verkaufte Manifest gegen das weibliche Hygienediktat, das Feuilletondebatten über Schamgefühle auslöste, Vokabeln wie „Muschiflora“ salonfähig machte und Charlotte Roche in einen Berühmtheitsstatus zwischen meistgehasste und meistgehypte Autorin katapultierte. „Ich habe in dem Buch schon bei Erscheinen viel mehr gesehen als nur den öffentlichen Rummel, den es ausgelöst hat“, sagt Wnendt mit ruhiger Stimme und ernstem Blick hinter den Brillengläsern. Mit exakt dieser Haltung hat er sich an die Verfilmung herangewagt. Sex und die Körperflüssigkeiten sollten nicht prüde ausgeklammert werden, der Fokus jedoch auf der durcheinandergeratenen Gefühlswelt der Hauptfigur liegen, Scheidungskind mit ausgeprägter Körperwahrnehmung. „Ich wollte es nicht noch krasser machen als im Buch beschrieben, keinen obendrauf setzen. Ich wollte ein berührendes, auch humorvolles Porträt einer jungen Frau erzählen“, sagt Wnendt. Was bei einem Buch, das Autorin Roche selbst als „Wichsvorlage“ pries, ein durchaus bemerkenswerter Ansatz ist. Und es gehört schon einiges dazu, den Film vom Wichsvorlagencharakter zu befreien und auf eigene Beine zu stellen.

Spätestens an dieser Stelle drängt sich natürlich die unvermeidliche Ekelfrage auf, deshalb kurz zur Orientierung: Ja, „Feuchtgebiete“ ist stellenweise sehr unappetitlich. Das Herumrutschen mit nacktem Hintern auf der wohl dreckigsten Kloschüssel der Welt. Freundinnen, die blutige Tampons tauschen. Eine mit Sperma vollgespritzte Spinatpizza. Ein empfindlicher Magen mag sich gegen diese Art Bilder zur Wehr setzen. Der Film, hieß es beim Festival in Locarno im Programmheft vorsorglich, „enthält Szenen, die die Sensibilität einiger Zuschauer schockieren könnten. Nicht geeignet für Zuschauer unter 16 Jahren.“ Andererseits sind die Szenen so explizit künstlich und poppig-bunt gefilmt, dass dem Ganzen etwas Komisches, beinahe Comichaftes anhaftet. Mehr „Guck mal, wer da spricht“ als „Der Exorzist“. Wie lautete das visuelle Konzept des Regisseurs? „Nacktheit war natürlich Voraussetzung. Aber ich fand es nicht nötig, expliziten Sex zu zeigen. Wir fahren nicht mit der Kamera zwischen die Beine, machen keine Nahaufnahmen von Geschlechtsteilen“, sagt Wnendt.

Das Filmteam setzte auf komplette Geheimhaltung während des Drehs

Angst davor, dass er für die Leute auf ewig der „‚Feuchtgebiete‘-Typ“ bleiben könnte, hat Wnendt nicht. Er sei schließlich stolz auf den Film. Und von der „fast hysterischen Debatte“, die der Roman „Feuchtgebiete“ lostrat, zeigt er sich entschlossen unbeeindruckt: „Am lautesten schreien meistens die Leute, die das Buch gar nicht gelesen haben.“ Die ganze Aufregung habe durchaus einen „frauenfeindlichen Ansatz“, findet Wnendt: „Einen Film über einen Mann zu drehen, der mit vielen Partnern Sex hat und zum Fäkalhumor neigt, ist kein Problem. Matthias Schweighöfer mit Durchfall ist völlig okay, bei einer Frau hört der Spaß auf.“ Vorsichtshalber setzte das Filmteam auf komplette Geheimhaltung während des Drehs. Keine Pressetermine. Keine offiziellen Verlautbarungen. „Memelland“ lautete der Codename. Manch ein Motivgeber sprang kurzfristig ab, als sich die „Feuchtgebiete“-Mannschaft outete. Keine Lust auf Schweinereien. „Die Bekanntheit des Buches war kein Türöffner, sondern hat es eher schwieriger gemacht“, sagt Wnendt.

David Wnendt, 35, hat bereits für seinen Erstlingsfilm jede Menge öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Das Sozialdrama „Kriegerin“ über ein Skinhead-Mädchen in einem ostdeutschen Kaff gewann so ziemlich jeden bedeutenden Branchenpreis, darunter den Deutschen Filmpreis 2012. Trotzdem ist „Feuchtgebiete“ natürlich eine andere Liga. Ein Film, mit dem man sich eine Karriere leicht verbauen kann, wenn es schiefläuft. Er habe es als entspannend empfunden, dass der Roche-Roman als unverfilmbar galt, sagt Wnendt. „Mit einem Buch, dessen Verfilmung eine sichere Bank ist, kann man das Publikum doch nur enttäuschen. Hier konnte ich völlig frei an die Sache herangehen und etwas ganz Eigenes finden.“

Vielleicht auch wegen dieses unverkrampften Selbstbewusstseins hat Produzent Peter Rommel sich für Wnendt als Regisseur entschieden. Ein Film, der sich an dem Drogenspinnerfilm „Trainspotting“ orientiert, schwebte Rommel vor. Leichtigkeit sollte sich mit Buntheit mischen. „Wir wollten einen Arthouse-Film machen, der ein breites Publikum anspricht“, beschreibt es Wnendt. Einmal ist er dann doch nervös geworden. Als nämlich Charlotte Roche zur Vorführung antrabte. „Ich bin vor Angst fast gestorben. Wenn sie den Film doof gefunden hätte, wäre das ein Trauma für mich gewesen. Ich hätte das Gefühl gehabt, Charlotte persönlich zu enttäuschen“, sagt Wnendt. So weit ist es nicht gekommen. Roche hat laut gelacht beim Gucken, den Regisseur nach Filmende umarmt. Eine Geste, die alles Wichtige sagt. Wnendt lächelt. Fast wirkt es, als rede auch er ein klein wenig lieber über Komplimente als über Masturbation mit länglichen Gemüsesorten. Jedenfalls beim Frühstück.