Das Imperial Theater bringt mit „Die toten Augen von London“ das zehnte Edgar-Wallace-Stück heraus

Imperial Theater. Der Vorspann lässt einen erschaudern: Tuten, Nebel, Dunkelheit, kaltes Kopfsteinpflaster sowie ein fieser riesiger Glatzkopf. Erst raubt der tumbe Koloss einem geh- und sehbehinderten Alten auf der Straße die Luft, dann verfrachtet er ihn in einen Kleinlaster, springt danach hinter ihm in den Laderaum, knallt die Türen zu, ehe der Wagen davonfährt. Als „blinder Jack“ ist Adi Berber, ein ehemaliger Freistilringer, in „Die toten Augen von London“ bis heute ein Symbol des Bösen. Der Schwarz-Weiß-Streifen von 1961 gilt nicht nur als der gruseligste Film der populären Edgar-Wallace-Reihe, er war dank der Besetzung mit Joachim „Blacky“ Fuchsberger (als Inspektor), Karin Baal und natürlich Klaus Kinski auch ein großer Erfolg an den Kinokassen.

Sönke Städtler spielt wie in den neun vorherigen Wallace-Stücken mit

Allemal ein passender Plot für das Imperial und seinen Intendanten Frank Thannhäuser. Der einfallsreiche Theatermacher bringt im zehnten Jubiläumsjahr seines Hauses als Krimitheater zugleich die zehnte Bühnenadaption eines Edgar-Wallace-Romans heraus. Wie alle Stücke zuvor hat Thannhäuser auch „Die toten Augen von London“ eigens ins Deutsche übersetzt. Und wie in allen vorherigen neun Wallace-Inszenierungen wirkt Sönke Städtler mit.

Ob in „Das indische Tuch“, in „Der Rächer“ oder in „Der unheimliche Mönch“, Städtler hat im Imperial seine Spuren hinterlassen und die eine oder andere Leiche im Keller (liegen gelassen). Der Mime ist ein Quereinsteiger – im doppelten Sinn. Ursprünglich wollte Städtler Lehrer werden. Nach seinem 1.Staatsexamen in Biologie und Englisch entschied er sich statt für die Schule jedoch für die Bühne. Der gebürtige Saarländer arbeitete sich über Bremen bis nach Hamburg hoch. Er lernte an der Stage School of Music, Dance and Drama, belegte Schauspiel-Workshops und nahm Sprachunterricht. „Frank Thannhäuser hatte ich beim Hamburg Dungeon kennengelernt“, erzählt Städtler. Eines Tages rief der Imperial-Chef an: Statt in der Speicherstadt-Ausstellung mit Gruselkabinetts-Show historische Hamburg-Szenen nachzustellen, sollte er plötzlich im Theater an der Reeperbahn die Rolle des Inspektors in Agatha Christies Krimi-Hit „Die Mausefalle“ übernehmen – einer der Hauptdarsteller war abgesprungen. „Ich hatte genau eine Woche Zeit“, erinnert sich Städtler, „aber das Lernen fällt mir relativ leicht.“ Zudem habe ihm das Ensemble damals den Einstieg erleichtert.

Auch sein Studium könne geholfen haben, den Text leichter zu behalten, räumt er ein. „Auf der Bühne ist das gar nicht so schwer, weil das immer mit einer bestimmten Handlung verbunden ist, zum Beispiel, wenn ich einen Stift aus der Jackentasche hole.“ Städtler, mit 1,86 Meter eine stattliche Theatererscheinung, schildert das mit sanfter Bariton-Stimme. Ganz anders etwa als bei seiner letzten großen Imperial-Rolle im „Polizeirevier Davidwache“: In dem starken Hamburg-Krimi, für dessen Bühnenbild Frank Thannhäuser und Co. im Vorjahr den Rolf-Mares-Preis erhielten, schlug Städtler als Zuhälter Bruno Kamp auch verbal kräftig zu. Dazwischen lag immer mal wieder die eine oder andere Fernsehrolle, eine Folge der ZDF-Krimiserie „Stubbe“ mit Städtler lief in diesem Jahr.

An „Der grüne Bogenschütze“ erinnert er sich unter seinen neun Wallace-Stücken „mit besonderer Begeisterung“. Als undurchsichtiger Schlossbesitzer Abel Bellamy durfte Städtler nicht nur die Titelrolle ausfüllen, er trat auch in die Fußstapfen des großen Gert Fröbe, des Film-Schurken der 60er-Jahre. „Dreimal habe ich den Bösewicht gespielt, dreimal den Guten, zweimal den üblichen Verdächtigen und einmal das Opfer“, hat Städtler seine persönliche Wallace-Statistik parat. „Die Rollenverteilung hat mir meistens gut gefallen, das war vielseitiger, als man denkt.“ Und in „Die toten Augen von London“? „Das muss noch geheim bleiben“, sagt Städtler lächelnd. Nur so viel: Er spielt diesmal eine Doppelrolle, der ehrenwert erscheinende Rechtsanwalt Steven Judd, bei dem alle Ermordeten versichert waren, ist ein Teil davon.

Drei Drehbühnen und eine steile Treppe gehören zum aktuellen Bühnenbild

„Bei Edgar Wallace müssen wir immer ordentlich arbeiten, damit es als Stück funktioniert“, sagt Städtler. Mit seinen Kolleginnen und Kollegen, die wie er allesamt freiberuflich am kleinen, aber erfolgreichsten deutschen Krimitheater (nur fünf Festangestellte) arbeiten, lässt er sich bei den Proben im ehemaligen Pornokino außer von Thannhäusers frischer deutscher Fassung vom Bühnenbild des Intendanten inspirieren; auch beim neuen Stück sind wieder drei Drehbühnen und eine steile Treppe im Einsatz. „Interessant ist, dass hinterher immer einige Zuschauer sagen, es sei ja bei uns anders als im Film gewesen“, berichtet Städtler. Denkbar zudem, dass auch beim gruseligsten Wallace noch hanseatisch-britischer Humor durchschimmert.

Hamburgbezug haben „Die toten Augen von London“ ohnehin: Die schaurigen Eingangsszenen des Films entstanden vor 52 Jahren in Altona an der Straße Sandberg, und die Themse-Szenen wurden von der Rialto Film vor dem Fleetschlösschen in der Speicherstadt gedreht. Wie überhaupt die gesamten Dreharbeiten in der Hansestadt und Umgebung stattfanden.

„Die toten Augen von London“ Premiere Do. 15.8., 20.00, danach bis 31.12, jew. Do.–Sa., jew. 20.00, Imperial Theater (U St. Pauli), Reeperbahn 5, Karten zu 16,- bis 34,- unter T. 31 31 14; www.imperial-theater.de