Der Hamburger Philipp Hochmair spielt Hofmannsthals Klassiker als Solo bei den Salzburger Festspielen

Salzburg. So ist das Leben, und am Ende steht der Tod. Jetzt steht aber erst einmal das Wort „Live“ über der Bühne. Die Buchstaben sind aus Scheinwerfern geformt, und darunter darf Hugo von Hofmannsthals Jedermann seinem Knittelvers-Grab entsteigen und den Rockstar geben. Plastikhose und Glitterjackett, kräftig Kajal und ein Skelett an die blanke Brust gedrückt. Himmel, Hölle, Totentanz und E-Gitarren!

Für das Young Directors Project der Salzburger Festspiele inszeniert Bastian Kraft, der am Thalia Theater unter anderem den „Zerbrochnen Krug“ auf die große Bühne brachte, das zum moralisierenden Dauerbrenner gewordene Stück als nicht gerade untypischen Abgesang eines Mittvierzigers: Too old to rock ’n’ roll, too young to die. Ist es der wirkliche Kulminationspunkt eines Lebens, oder ist es nur eine Vision? Bei Bastian Kraft wird die Geschichte vom reichen Mann, der sich am Ende nur durch einen finalen Spurt Richtung Glauben in den Himmel retten kann, zur kräfteraubenden Show der Innenwelt. Und wo es so ist, muss auch einer allein alle Rollen spielen.

Schon 2009 hat Thalia-Schauspieler Philipp Hochmair ein Ein-Mann-Projekt zu Kafkas „Amerika“ mit Bastian Kraft gemacht, jetzt steht er in Salzburg im Wechsel der Identitäten auf der Bühne. Eine Leuchtschrift hinter ihm sagt, wer er gerade ist. Die Schnorrer, Jedermanns Mutter, die Zechkumpane, die Buhlschaft. Und das heißt, sich mal in den Staub zu werfen, mal ein Kopftuch ums Gesicht zu drapieren oder sich (auch Mammon persönlich tritt auf) in Goldlametta einzuwickeln.

Das Treiben auf der Bühne hat naturgemäß auch etwas Komisches, und die mitunter hakende Technik tut das Ihrige. Dem Tod ins Aug’ blickt Hochmairs Jedermann nicht nur in einem metaphorischen, sondern auch in einem wörtlichen Sinn. Eine Kamera erfasst seine schreckensstarren Augen, das Gesicht des sich in die Grube rockenden Herrn steht überlebensgroß auf der Rückwand.

Es ist dieses am Rande des Dilettantismus sich bewegende Gefuchtel ein bisschen wie bei Castorf. Und dort wie da kann man leicht aus dem Blick verlieren, worum es eigentlich geht. Bastian Kraft erzählt keine Geschichte, erzählt den „Jedermann“ nicht neu. Er führt kein Mysterienspiel auf und kein Morality Play, er will Wirkung und Unmittelbarkeit, wie sie in diesem Fall selbst ein Philipp Hochmair nur unter Schmerzen hervorbringen kann. Das Drama dieses Jedermann ist, dass er nur noch die Karikatur seiner selbst zu spielen hat, dass die hoch gespannte hofmannsthalsche Metaphysik schon im simplen technischen Spannungsabfall zuschanden gehen kann. Zieht man den Verstärkern den Stecker raus, ist erst mal Sense.

Die Präsenz der Musikerin Simonne Jones hat etwas Souveränes

Eine Buhlschaft, wenn man so will, hat Bastian Kraft dem Jedermann doch zur Seite gestellt. Sie ist sein Sidekick, seine Muse, seine Musikerin. Die aus Los Angeles stammende und in Berlin lebende Simonne Jones rockt ihm das Haus, stellt den stinkreichen Schwerenöter unter die Kuratel ihrer Stimme. Sie singt „I wanna be your girl“, während er mit dem Skelett tanzt, das „Make love to me“ ist dann nur folgerichtig. Jones schrummt und röhrt und hüpft, spielt viele Instrumente und setzt Loops in diesem Liebeswerben, das ebenso gerne haarscharf an der richtigen Stimmlage vorbeigeht, wie ihr Tanzen etwas tapsig ist.

Und doch hat die Präsenz von Simonne Jones auf der Bühne etwas Souveränes. Den fast einen Kopf kleineren Jedermann gibt sie der Lächerlichkeit preis, wenn er das nicht überhaupt selbst tut. Von seinem Paillettenjackett, seinem Machogetue und selbst seiner Hose ist am Ende nichts mehr übrig. Schweißgebadet vom ganzen Feilschen um seinen Tod, wie entnervt von Hofmannsthals klappernden Reimen und nur noch in der Unterhose steht Philipp Hochmair da.

Seine Himmelfahrt findet dann am Bühnenhaken statt. Wenn er oben angekommen ist, im elysischen Jenseits, dann wird dort Party sein. In Musikerkreisen nennt man so etwas wohl ein Comeback.