Das ZDF porträtiert in drei Dokumentationen neun Menschen aus drei Generationen, die an Wendepunkten ihres Lebens stehen

Hat man heute mit 20 noch Träume? Annette hat gerade am Elite-Internat Salem ein Prädikatsabitur hingelegt und will ihre „Flügel entfalten“. Beim Medizinstudium bleibt ihr für Träume allerdings keine Zeit. Auch Cagil will studieren, vor allem seinen Eltern zuliebe, die Lehrer waren, bevor sie in den 70er-Jahren aus der Türkei nach Deutschland kamen. Anders als Annette muss er erst lernen, an sich selbst zu glauben. Barbara hat ihre Ausbildung zur Bäckerei-Verkäuferin geschmissen, weil sie schwanger ist. Aber der Weg zur Wunschfamilie ist härter, als sie dachte.

Mit diesen drei Zwanzigjährigen, die sich mit so unterschiedlichen Voraussetzungen auf den Weg machen, beginnt heute Abend die dreiteilige Dokumentation „20 – 40 – 60“ in der Reihe 37°, in der das ZDF drei Generationen porträtiert. Regisseurin Dominique Klughammer hat jeweils über drei Jahre Menschen begleitet, die an Wendepunkten des Lebens stehen: Die 20-Jährigen starten ins Erwachsensein, die 40-Jährigen stehen vor einer ersten Zwischenbilanz und stellen manche Weichen um, für die 60-Jährigen naht das Ende des Berufslebens, vielleicht aber auch ein Neustart. Jeder Generation ist eine 45 Minuten lange Folge gewidmet.

Klughammer hält sich dabei ganz dicht an das Erleben und die Sicht ihrer neun Protagonisten. Sie gehören jeweils verschiedenen Schichten und Arbeitswelten an, aber die Doku verzichtet auf jegliches soziologische Zutexten und auf „alterstypische“ Verallgemeinerungen. Als das Projekt begann, war nicht absehbar, wie die neun Schicksale verlaufen würden – aber sie decken tatsächlich eine erstaunliche Bandbreite des Lebens ab, die durchaus repräsentativ ist.

Silvia fängt mit 40 nach der Scheidung eine Umschulung zur Industriemechanikerin an. Aussicht auf eine Festanstellung hat sie eher nicht, sie kämpft sich mit zwei heftig pubertierenden Töchtern durch eine finanzielle und mentale Durststrecke. Mit 60 hat Michael, Bürgermeister einer Gemeinde bei Kiel, im öffentlichen Dienst erfolgreich Karriere gemacht. Sein Lebensweg ist „gelungen“, wie er sagt, er segelt, joggt und ist mit seiner Frau amtierender Landesmeister im Turniertanz. Aber dieses Lebenstempo erzeugt schon die ersten Ermüdungsspuren. Für den gleichaltrigen VW-Arbeiter Klaus ist nach 34 Jahren Schichtdienst Schluss: Er muss mit 60 gezwungenermaßen in den Ruhestand gehen, weil sein Herz nicht mehr mitmacht. Für ihn beginnt der Lebensabend mit Panikattacken.

Faszinierend ist, wie jeder von ihnen sich den Anforderungen mit eigener Lebensphilosophie stellt, welche Rolle die Partner und Familien spielen. Dominique Klughammer hat ihre Generationenvertreter klug ausgewählt. Man findet sich wieder, auch mit den ewigen Fragen: Warum passiert das gerade mir? Wie gehe ich mit existenziellen Veränderungen um? Denn in allen drei Lebensaltern können die schönsten und vernünftigsten Pläne von einem Tag auf den anderen Makulatur werden. Flugzeugbauer Andreas will mit 40 nicht länger im Hamsterrad rennen, wandert mit Freundin Alexandra nach Südafrika aus und investiert alle Ersparnisse in ein kleines Hotel bei Kapstadt. Ein mutiger Schritt, der sogar erfolgreich ist, bis eine schwere Krankheit das Paar ausbremst. Die 60-jährige Imbissbesitzerin Claudia wollte mit ihrem Mann glücklich alt werden – und plötzlich muss sie seinen Tod verkraften.

Dabei bedienen die Porträts keine Klischees: Sogar Barbara, die schlecht ausgebildete junge Mutter, ist nicht gesetzmäßig auf einem abschüssigen Weg, sondern erkämpft sich eine neue Ausbildung zur Hauswirtschafterin und eine kleine Familie. Sie entwickelt sogar gegenüber ihrem Freund, der eigentlich ewiger Junggeselle bleiben will, erstaunliche Durchsetzungskraft; ein Indiz dafür, dass es oft die jungen Männer sind, die Nachholbedarf haben. Die ehrgeizige Architektin Ruth, Single und Inbegriff einer Karrierefrau, stemmt den Alltag eines Managers, ist weltweit unterwegs, sitzt in der Regel bis Mitternacht im Büro. Eine vernunftbetonte Frau, die Misserfolge sportlich nimmt. Aber sie hat mit 40 auch unerledigte Träume wie eine 20-Jährige.

Was alle Protagonisten gemeinsam haben, ist übrigens ein sehr deutscher Leistungswille und ein Stehvermögen, das die viel zitierte „German Angst“ widerlegt.

„20 – 40 – 60: Drei Generationen – drei Jahre“, 37°-Dokumentation, ZDF, 22.15 Uhr; Teil 2 folgt am Donnerstag, Teil 3 am nächsten Dienstag, jeweils 22.15 Uhr