18 Kameras hielten das Festivalgeschehen für den Film fest, der im Frühjahr 2014 in die Kinos kommen soll. Für einen Vorgeschmack wurden in Wacken schon 50.000 Brillen verteilt.

Wacken. „Hier kommt die Sonne…“ Rammstein ist nicht nur der Headliner des ersten Festivaltags, die Vorzeige-Schwiegermutterschrecke geben auch das Motto des Wacken Open Air 2013 vor. Es herrscht Hochsommer und die dazu passende Laune. Außer vielleicht bei denjenigen, die ihre Sonnencreme erfolgreich zu Hause vergessen haben und nun in verschiedenen Rottönen erglühen.

Doch bevor Rammstein mit ihrem Neue-Deutsche-Härte-Praktikanten Heino den Tag beschließt, geht der Vorhang für fünf Urväter der harten Rockmusik auf. In den Schein der Abendsonne treten Ian Gillan, Steve Morse, Roger Glover, Don Airey und Ian Paice, die achte Besetzungsinkarnation von Deep Purple. Hit reiht sich an Hit – natürlich mit genügend Zeit für diverse Soli. „Space Truckin'“, „Highway Star“, „Hush“, Fans von Rammstein, die sich bereits Plätze für den Auftritt von Till Lindemann und Co. gesichert haben, merken wohl erst jetzt, wie viele Songs dieser 45 Jahre alten Band sie kennen.

Und mögen: Der Metal-Senior tanzt neben dem Jungspund, auf dessen Kutte „Metal Son of a Metal Dad“ steht, die gelebte und gespielte Musikgeschichte tackert allen ein Grinsen ins Gesicht. Nur die laufenden Bierverkäufer, die mit einem Fass auf dem Rücken für Nachschub in der Menge sorgen, sind nicht zu beneiden. Auch weil die Rechenkünste der Durstigen mit steigendem Konsum nicht besser werden.

Den Trick mit dem Stargast kennt übrigens nicht nur Rammstein. Für den unkaputtbaren Übersong „Smoke on the Water“ kommt ein weiterer altgedienter und von jedem, der eine Gitarre richtig herum halten kann, verehrter Musiker auf die Bühne: „Ist das nicht Uli Jon Roth?“ Ist er. Hätte man keine Ohren, das Grinsen würde sich jetzt rund um den Kopf spannen. Der Gitarrist, Songschreiber und Komponist ist und bleibt ein Meister seines Fachs.

Film kommt in 3-D in die Kinos

Nach der letzten Zugabe bleibt eine halbe Stunde, bis Rammstein die eigens vergrößerte und an diesem Tag nur für diese eine Band reservierte Bühne betritt. Zeit für ein bisschen Kino: Im Frühjahr 2014 soll sie anlaufen, die neue Doku über das weltgrößte Metalfestival – in 3-D. Bereits den ganzen Tag über wurden die passenden Brillen verteilt, ein Trailer wird als kleiner Appetithappen gereicht. Was man zu sehen bekommt, lässt auf einen feinen Filmabend hoffen. Mit 18 Kameras tobt das Filmteam über das Festival, wer das 24. Wacken Open Air verpasst, kann sich 2014 einen guten Eindruck davon verschaffen, wie es so zugeht im „Holy Wacken Land“.

Fast noch besser als der Trailer ist aber der Blick zurück in die Masse: mindestens 50.000 harte Männer und Frauen mit weißen 3-D-Brillen aus Pappe auf der Nase. Sich das Lachen zu verkneifen, fällt da schwer.

Mit Flammen kennt man sich beim Wacken Open Air aus. Aber was Rammstein an Pyrotechnik verfeuert, dagegen nimmt sich selbst das Wahrzeichen des Festivals, der brennende Stierschädel zwischen den beiden größten Bühnen, aus wie ein Einweg-Grill. Um 22.15 Uhr – die Zugänge zum Platz sind mittlerweile wegen Überfüllung geschlossen – heißt es: „Feuer frei!“ In brachialer Lautstärke schwimmt Rammstein durch das selbst angezündete Flammenmeer. Masken, die aus den Musikern Feuer speiende Dämonen machen, Kanonenschläge, Funkenregen, eine Steigerung dieser Materialschlacht ist kaum vorstellbar.

Kein Weltuntergang nach Heino-Auftritt

Das Spiel mit der Provokation gehört zu dieser Band wie Pyrotechnik und Kunstblut. Doch womit kann man noch einen draufsetzen nach Songs über Nekrophilie, Inzest, Sadomasochismus und so ziemlich allem, was dazu geeignet ist, jemanden auf die Palme zu bringen? Nach einer Bühnenshow, bei der alle paar Minuten irgendetwas in Flammen aufgeht oder explodiert, Analverkehr und Kannibalismus nachgestellt werden? Mit Heino. Kurz vor der Geisterstunde hält Lindemann inne, verbeugt sich: „Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir einen ganz speziellen Gast: Heino.“

Der 74-Jährige wirkt tatsächlich speziell, fast verloren, als er in einem roten, nietenbesetzten Ledermantel auf die Bühne kommt. Rammstein und Heino, Heino und Wacken, es treffen Welten aufeinander. Was für den 74-Jährigen ein gelungener PR-Gag auf dem Weg zu neuen Fanwelten ist, kommt aufseiten der Band einem weiteren mit fröhlichem Grinsen erhobenen Stinkefinger gleich. Lediglich die Stoßrichtung hat sich verändert. Nun ist es nicht mehr die Gesellschaft, nun sind es die eigenen Fans, die kalkuliert brüskiert werden. Applaus und Buhrufe mischen sich, nach dem knapp drei Minuten langen „Sonne“-Duett und einem Handschlag mit Lindemann geht das fleischgewordene Sinnbild deutschen Spießertums wieder von der Bühne. Länger als zwingend notwendig wird er nicht in Wacken geblieben sein, zu groß ist die Kluft zwischen den Welten. Der von einigen erbosten Fans heraufbeschworene Weltuntergang bleibt aus, die Sonne geht auch in Wacken zum Wochenende wieder auf.