Im Hamburg Museum zeigt das Architekturbüro MVRDV Alternativen zur Hochhauswüste asiatischer Mega-Städte

Hamburg. „Le truc du fada“ nannten die Marseiller einst dieses komische Gebäude mit den bunten Türen, „das Ding des Bekloppten“. Vor gut 60 Jahren zogen die ersten Familien in Frankreichs erstes „vertikales Dorf“ ein, das der berühmte Architekt Le Corbusier dort gebaut hatte: 337 Wohnungen für 1600 Menschen, verbunden durch breite „Straßen“, auf denen die Kinder bis heute gern Fußball spielen. Dazu Geschäfte, ein Theater, Sportplätze, Schwimmbad und Kindergarten. Unter dem Titel „the vertical Village“ wurde jetzt im Hamburg Museum im Rahmen der IBA eine Ausstellung eröffnet, die dem alten Gedanken sozialverträglichen, visionären Wohnens in der Höhe ein ganz neues Gesicht gibt.

Für Architektur-Interessierte, Stadtplaner und Architekten ist diese fantasievoll, intelligent und aufwendig gemachte Ausstellung ein Muss. Realisiert wurde sie vom renommierten niederländischen Architekturbüro MVRDV, in Auftrag gegeben von der Stadt Taipeh, die ein architektonisches Zukunftslabor in Gestalt einer „Urban Regeneration Station“ eingerichtet hat, von der neue Impulse für die taiwanesische Metropole ausgehen sollen.

In Asien gibt es schon lange vertikale Dörfer. Oft sind daraus bereits vertikale Kleinstädte geworden: Mehrstöckige Sockel beherbergen Supermärkte, Restaurants, Boutiquen, Parkhäuser, manchmal sogar Swimmingpools. Daraus sprießen dann, wie Pilze aus dem Boden, uniforme, triste Wohntürme, nicht selten 20 und mehr. Statt auf Plätzen treffen sich die Bewohner entweder auf den breiten Sockeln oder in den künstlichen Welten der Shopping-Paläste. Die meisten Gebäude haben keinen Kontext, weder geschichtlich noch räumlich. Seit Le Corbusier hat sich natürlich vieles geändert, doch eines hat auch Winy Maas, Direktor des Büros MVRDV beherzigt: Le Corbusier hielt den menschlichen Maßstab ein. Bezug nehmend auf die Figur eines Mannes mit erhobenem Arm, schuf er ein Messsystem als Grundlage aller seiner Berechnungen.

Dieser und viele andere Faktoren, die in den flach-hierarchischen Thinktanks der Universitäten von Delft und Taipeh erdacht wurden, sind in die Großstadtarchitektur-Visionen eingeflossen, die man in dieser Ausstellung nicht nur sehen und interaktiv gestalten, sondern wirklich genießen kann, Wabe für Wabe zu einem anderen Thema, alles in einem großen Zusammenhang, begleitet von fundierten Interviews internationaler Wissenschaftler, die sich auf diversen Bildschirmen zum Thema Urbanität äußern.

Das Herzstück, das der Schau den Titel gab, ist das vertikale Dorf. Dieses aber, sollte es je realisiert werden, wird evolutionär von unten nach oben wachsen aus individuell geformten Wohneinheiten, luftig und verschachtelt aufwärts strebend und verbunden durch kurze Treppen. In einem Sitzsack liegend, kann man in der Schau virtuell durch die fantastisch gemachte Animation des künftigen vertikalen Dorfes von Taipeh spazieren: Nie ist es richtig hochhausfinster auf den jeweiligen überschaubar kleinen Plattformen, stets entstehen durch jede Bewegung neue, interessante Perspektiven, Blickbeziehungen und damit Kommunikation. Und obwohl das Ganze am Ende ein riesenhafter Koloss sein wird, hat man zumindest in dieser Animation nie das Gefühl, als kleine Schraube in einer Wohnmaschine funktionieren zu müssen, sondern eher, durch ein unendlich vielfältiges, sich ständig veränderndes Gebilde zu wandeln.

Letztlich beantwortet diese Art des Bauens die kulturell-gesellschaftlich-ökologische Frage danach, wie wir leben wollen, auf sehr überzeugende Weise. Und teurer sei das nur auf den ersten Blick, sagt Winy Maas.

The vertical Village Hamburg Museum, bis 29.9. Di–Sa 10.00–17.00 , So bis 18.00, Katalog 10 Euro, www.hamburgmuseum.de