Das zweite Spektrum Festival zeigt, wie vielgestaltig Hip-Hop heute ist

Dass Hip-Hop in den 2010er-Jahren längst nicht nur Gangster-Gehabe oder den großen Zeiten hinterher trauernde Nostalgie bedeutet, sondern eine nach wie vor aktive und springlebendige Szene repräsentiert, hat schon das erste Spektrum Festival im vergangenen Jahr bewiesen. Und weil doppelt nicht nur besser hält, sondern auch mehr Spaß macht, lädt das Dockville-Team auch 2013 wieder auf das Festivalgelände in Wilhelmsburg ein, um den Sprechgesang zu feiern.

Das Line-up kann sich sehen lassen: Vom Trio 257ers, das eigentlich ein Quartett ist und sich „Zwei-Fünf-Siebeners“ spricht, kann man neue Wörter wie „Akk“ lernen (was so viel heißt wie Akk – möglicherweise aber auch nicht). Ein Nonsens-Begriff, dessen Erfindung sich die Essener Mike, Keule, Shneezin und Jewlz auf die Fahne schreiben dürfen. Also eigentlich nur die ersten drei, schließlich ist Jewlz bloß „Ehrenmitglied“ der reichlich bekloppten Crew. Wem das zu kompliziert ist, wer Humor auf dem Level „Körperflüssigkeiten und deren Austausch“ scheut, sollte sich aber in keiner Weise beirren lassen, schließlich ist die Ruhrpott-Spaßguerilla nur ein Teil des Spektrums.

Mit Danny Brown zum Beispiel ist dem Organisations-Team ein echter Coup gelungen. Der Detroiter sieht zwar aus wie ein beliebiger Hipster-Vogel, der „das nächste große Projekt“ schon seit gefühlten zehn Jahren am Start hat und von dem man noch nie mehr als vier Takte am Stück gehört hat. Doch Undercut und zu enge Jeans könnten kaum trügerischer sein. Brown ist ein Könner, dem man die selbst gestrickte Vita vom Jungen, der schon im Kindergarten als Berufswunsch Rapper angegeben hat, gern abnehmen möchte. Seine Alben „The Hybrid“ und vor allem „XXX“ machen jedenfalls mehr als nur neugierig auf „Old“, das irgendwann dieser Tage erscheinen soll – ein genaueres Datum als „im August“ gibt es nicht für den neuen Langspieler vom Mann mit der quäkigen Stimme, der Street Credibility mit Humor, Flow und Ideen zu einer für sprechgesangsaffine Menschen nahezu unwiderstehlichen Mischung verquirlt. Danny Brown verzeiht man sogar den Auftritt im neuen Video von Insane Clown Posse, zumal er die beiden geschminkten Merkwürdigkeiten mit dem Faible für den Zirkus und Gewaltexzesse locker vor die Wand rappt.

Das Spektrum Festival würde seinen Namen aber nicht zu Recht tragen, wenn nicht auch andere Spielarten abseits des klassischen Sprechgesangs zum Zug kommen würden. Die kleinteilig arrangierte elektronische Musik des britischen Duos Mount Kimbie, die sich erfolgreich jeder Genre-Schublade widersetzt, liegt reichlich quer zu Acts wie dem Rüpelrapper Retrogott und seinem DJ Hulk Hodn. Oder dem Münchener Edgar Wasser, der seine Tracks fröhlich für kostnix ins Netz stellt.

Megaloh wiederum dürfte sogar Menschen bekannt vorkommen, die sich sonst lieber in den Mainstream-Charts als in den Untiefen der Trends tummeln. Der Berliner rappte schon mit Xavier Naidoo, auch mit Samy Deluxe war er bereits zu hören, die erfolgreiche Kollaboration mit Joy Denalane und Max Herre brachte ihm einen Vertrag mit deren Label Nesola ein, auf dem vor einigen Monaten auch sein Album „Endlich Unendlich“ erschien.

Die Zusammenarbeit mit der „Red Bull Music Academy“ bringt dem Spektrum nicht nur Energiegetränke ein, die muhen oder Flügel verleihen, sondern auch einen ganzen Sack weiterer, spannender Künstler: Da wäre unter anderem der mit diversen Weltmeistertiteln geschmückte Battle-DJ Rafik, der komplexe Stücke zusammenschraubende DJ Adlib und Koreless mit seinen sphärischen, den Moment perpetuierenden Elektronika. Auch Wahlberliner Suff Daddy, der sich laut Selbstbeschreibung von Pils und Gin ernährt, ist mehr als nur einen Blick wert.

Bleibt eigentlich nur, die Daumen zu drücken, dass sich das hochsommerliche Wetter hält. Dann gibt es für einen sonnabendlichen Ausflug nach Wilhelmsburg keine wirklich plausible Ausrede abseits von größeren Katastrophen. Oder einer ausgeprägten Abneigung gegen kreative Musik, die vom breitbeinigen „Stress ohne Grund“-Gehabe eines Bushido wohltuend weit entfernt ist.

Spektrum Festival Sa 3.8., 17.00, Dockville Gelände (SWilhelmsburg + Metrobus 13), Alte Schleuse 23, Karten zu 25,- an der Tageskasse; spektrum.ms, www.festivalguide.de