Heute beginnt das größte Heavy-Metal-Festival der Welt. Ein Besuch bei Arno Surminski, der dort ein Sommerhaus hat und mit Büchern über Ostpreußen berühmt wurde

Sie redeten noch eine Weile über ihre alte Marschmusik und ließen das Auto die Straße hinabrollen, mussten aber langsamer werden, weil immer mehr junge Leute kreuz und quer rannten. Einige winkten ihnen mit Bierflaschen zu, andere tanzten auf der Straße, und alle waren schwarz.

Nachts sind die meisten Menschen schwarz, sagte Hedda.

Das Getöse wurde lauter.

„Also, ich habe hier tatsächlich noch kein blondes Mädchen gesehen“, sagt Arno Surminski und schaut seine Frau an. „Du?“ Seine Frau lächelt, schaut zu den Enkeln hinüber, die gerade ins Schwimmbad aufbrechen, stellt den Kuchen auf den Gartentisch und schenkt dann reichlich Kaffee nach. „Da werden sicher einige Blonde darunter sein“, fährt Surminski fort. „Aber man sieht es nicht mehr.“ In Wacken, sagt Arno Surminski, nenne man die Festivalbesucher tatsächlich nur „die Schwarzen“, „na, das sind sie doch auch alle, schwarz“, und so hat er, der mit Geschichten über das alte Ostpreußen berühmt geworden ist, der die Flucht thematisiert hat und auch einmal das deutsche Versicherungswesen während der Nazizeit, seine Erzählung über das seltsame norddeutsche Dorf „Rosamunde oder Die Schwarzen kommen“ genannt.

Arno Surminski ist Schriftsteller. Er sieht auch aus wie ein Schriftsteller. Schlohweißes, dichtes Haar, ein weißer Schnurrbart, ein klarer, offener, freundlicher Blick. Im kommenden Jahr wird er 80 Jahre alt. Mit Heavy Metal hat er nichts am Hut. Eigentlich. Denn Arno Surminski, der die meiste Zeit des Jahres in Hamburg lebt, hat ein Sommerhäuschen in Wacken, einer eher beschaulichen Ortschaft ein paar Kilometer nordwestlich von Itzehoe. Im Gasthof Zur Tenne werden „Fremdenzimmer“ angeboten, der Friseur heißt Struwwelpeter, und der kulturelle Höhepunkt der Gemeinde wären wohl drei Gürtelschnallen aus der Bronzezeit, die einst hier gefunden wurden und heute im Landesmuseum Schloss Gottorf ausgestellt sind – wenn nicht alljährlich im August bis zu 86.000 Musikfans hier einfallen und auf ein paar Wiesen, die den Bauern mittlerweile reich werden ließen, das größte Heavy-Metal-Festival der Welt feiern würden.

Rammstein ist in diesem Jahr dort, Motörhead, Alice Cooper, Deep Purple, außerdem Bands mit so klingenden Namen wie Asthma, Eskimo Callboy oder Wirrwahr. Rammstein, das habe er schon einmal gehört, sagt Arno Surminski.

Einmal, das ist schon eine Weile her, waren die Surminskis direkt auf der Festivalwiese und haben dem Treiben zugeschaut. Sie blicken sich an. Ein kurzer, anrührender Weißt-du-noch-Moment einer langjährigen, funktionierenden Beziehung; die Surminskis sind es gewohnt, die Dinge gemeinsam zu erzählen. „Ich fand die Musiker gar nicht so schlecht“, sagt sie. „Nur zu laut“, sagt er. „Wenn die erst mal anfangen …“, nickt sie, „… dann zittert die Erde“, schließt er. Auf ihrem Grundstück sei das allerdings wirklich gar kein Problem, winken beide ab, „da müsste schon sehr scharfer Nordwind sein“.

Wenn das man gut geht, sagte Kuddel. So viel Schwermetall kann deine Wiese nicht vertragen, und die Kühe werden es auch nicht aushalten.

Hinnerk lachte nur und sagte, er brauche keine Kühe mehr, weil er vom Festival reich geworden sei. (…) An den Festivaltagen fuhr Hinnerk in einem Auto ohne Dach zwischen den Zelten spazieren. Es sah aus wie in den Kriegsfilmen, wenn der General stehend mit ausgestrecktem Arm an seinen Soldaten vorbeifährt. (…) Er kurvte zwischen den Zelten hin und her, die Schwarzen sprangen auf und begrüßten ihn mit Geschrei, Hinnerk legte die Hand an die Mütze wie Rommel in der Wüste.

„Ich habe eigentlich ziemlich viel verfremdet in meiner Geschichte“, sagt Arno Surminski, „vor allem die Personen. Außer den Hinnerk. Ich dachte nach der ersten Lesung hier, jetzt springt mir Bauer Trede an den Hals. Aber vielleicht hat er es auch gar nicht so gemerkt.“

Es ist still in Wacken, ein paar Tage, bevor die Schwarzen wiederkommen. Still, heiß und träge. Wie die Ruhe vor dem Sturm. Das Ortseingangsschild ist schon abgeschraubt, weil die internationalen Gäste es in der Vergangenheit gelegentlich mit einem Souvenir verwechselt hatten. Ab und an donnert ein Schwertransporter durch das Dorf, der Bühnenteile oder Verstärker anliefert, vereinzelt hängen auch schon schwarze Fahnen an den Fenstern der Hauptstraße, einträchtig neben den roten Geranien. „Wacken worldwide“ steht zum Beispiel darauf, Arno Surminski hat auch eine solche Fahne im Garten. „Die hat der Bürgermeister mal an uns alle verteilt“, erzählt er. Wenn die Surminskis zur Festivalzeit gerade in ihrem Sommerhaus sind, dann hängen sie die Fahne an ihren Zaun.

Seit 1975 haben sie die kleine, seither mehrfach um- und angebaute Datscha auf dem weitläufigen Naturgrundstück. „Wir sind schon viel länger hier als das Wacken Open Air“, sagt Frau Surminski und lacht. Bei Regen haben sie sich damals das Grundstück angeschaut und es trotzdem sofort gemocht, die Tochter war gerade geboren, „Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland“ soeben erschienen, es war Arno Surminskis literarischer Durchbruch. Das zweite Buch, „Kudenow oder An fremden Wassern weinen“ ist fast ausschließlich in Wacken entstanden.

„Da hatten wir noch nicht so viel Geld“, sagt seine Frau, „jetzt ein bisschen mehr.“ Und es klingt, als spiele weder das eine noch das andere eine große Rolle im Leben der Surminskis. Andere Dinge sind entscheidender: die Familie, das sieht sofort, wer das herzliche Chaos aus Spielzeug und Badesachen der Enkel auf dem Rasen sieht; die Bücher natürlich, mindestens fünf wolle er noch schreiben, sagt Arno Surminski; und die Bäume. Einem Bauern haben sie auch den Acker hinter dem Garten abgekauft und darauf vor allem Laubbäume gepflanzt, fast vier Jahrzehnte ist das her, inzwischen steht dort ein respektabler kleiner Wald. Manche der Bäume tragen Namensschildchen. Eine blaue Zeder zum Beispiel hatte sich die Mäzenin Hannelore Greve gewünscht, nach der Verleihung des nach ihr benannten Literaturpreises der Hamburger Autorenvereinigung an Arno Surminski. Der Schriftsteller schaut bedauernd auf das schmächtige Gewächs. „Sie will leider nicht so recht.“

Er legt seine Hand an einen der stärkeren Stämme, einst war Arno Surminski auch Holzfäller, in Kanada, in den 50er-Jahren. Noch immer besitzt er drei Motorsägen, die regelmäßig zum Einsatz kommen. „Als wir herkamen, gab es diesen Wald noch nicht, auch noch keine Autobahn, nur das Freibad, das gab es schon damals.“ Es liegt schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite, jetzt im Sommer kann man das ausgelassene Schwimmbadkreischen der Wackener Dorfjugend fast bis in den Garten hören. „Wenn die Schwarzen dann kommen, geht hier bei uns die große Völkerwanderung vorbei.“

Während Rudi unter dem Apfelbaum schlief, zogen die Schwarzen zur Badeanstalt, um etwas für die Reinlichkeit zu tun. 6000 sollen im Wasser gewesen sein, aber keiner ist davon weiß geworden. Dem Hörensagen nach sind einige Mädchen nackt vom Drei-MeterBrett gesprungen. Bezeugen konnte es keiner, weil der Bademeister bei solchen Unanständigkeiten gar nicht hinsieht.

„Im Garten des Schönen“ heißt der schmale Erzählband, der in diesem Jahr im Hamburger Verlag Ellert & Richter erschienen ist und in dem sich auch die Wacken-Erzählung findet, ein Titel, der genau so auch auf Arno Surminskis Wackener Fleckchen passt. Er schreibt auch hier, jeden Tag und meist mit der Hand. „Ich habe inzwischen begriffen, dass er ohne das Schreiben nicht sein kann“, sagt seine Frau. Das meiste diktiert er nach dem Aufschreiben in ein Aufnahmegerät, eine Schreibkraft tippt es später in den Computer. Er selbst braucht „den Klang der Wörter“.

„Rosamunde oder Die Schwarzen kommen“ ist in dem Band nicht die einzige Geschichte, die der Nachbarschaft entlehnt ist. „Das Erdbeben von Riva“ zum Beispiel, die zweite Erzählung, zeichnet verschmitzt und liebevoll das Bild einer Rentner-Reisegruppe, die zum ersten Mal im Leben eine Fahrt nach Italien unternimmt, die Fahne von Schleswig-Holstein hinten am Bus. Sie kommen nur bis zum Brenner. Dort werden sie von einem Erdbeben geweckt, keinem passiert etwas, aber den Rentnern war auf der Fahrt schon der Harz zu hügelig, sie wollen zurück in ihren flachen Norden. „Die Anregung habe ich 50 Meter von hier bekommen“, erzählt Arno Surminski. „Bei einer Silberhochzeit habe ich den Alten zugehört.“ Lustig macht sich der Schriftsteller nicht über seine Wackener Nachbarn, er mag sie, er mag ihre ehrliche, norddeutsche Art. Und kann trotzdem mit einem hintergründigen Lächeln erzählen, dass Bauer Trede auch einmal eine Reise nach Italien unternommen hat, auf dem Petersplatz sei er mindestens gewesen.

Der Papst segnete ihn, und Hinnerk lud ihn ein, im nächsten Jahr zu Open Air nach Holstein zu kommen, kostenlos, versteht sich.

Das lass mal, sagte der Heilige Vater. Für diese Art weltliche Freuden bin ich schon zu alt.

Er segnete ihn noch einmal, und Hinnerk versprach, ein zehn Meter hohes Holzkreuz aus kerniger deutscher Eiche auf die Festwiese zu stellen. Den Firefighters wollte er Bescheid geben, sie sollten den Choral „Nun danket alle Gott“ spielen. So kam der liebe Gott endlich auch zu Open Air nach Wacken.

„Drei Heimaten“ habe er, sagt Arno Surminski, als der Kuchen schon fast alle ist und die Enkel erschöpft und sonnenverbrannt aus dem Freibad zurückkehren. Er stockt kurz. Gibt es das überhaupt, die Mehrzahl von Heimat? „Na, für mich sind das jedenfalls Ostpreußen, Hamburg und Schleswig-Holstein.“ Seine Hand streicht über den Holztisch. „Mich hat mal jemand gefragt: Wenn du nach Sibirien verbannt wärest, wonach hättest du Sehnsucht?“ Arno Surminski beugt sich ein Stück im Stuhl vor, schaut seinem Gegenüber in die Augen und tippt mit dem rechten Zeigefinger energisch auf die Tischplatte. „Hierher“, sagt er und lehnt sich wieder zurück. „Nach Wacken.“

Die kursiven Stellen stammen aus Arno Surminskis „Im Garten des Schönen“, Ellert & Richter, 208 S., 14,95 €