Sommerserie „Kultur erfahren“, Folge 5: Das Internationale Wind- und Wassermühlenmuseum im niedersächsischen Gifhorn mutet nicht nur aufgrund der teils exotischen Gebäude recht märchenhaft an.

Gifhorn. Rechts geht es nach Griechenland, Portugal, Frankreich und Spanien, geradeaus nach Deutschland, im See zeigt Ungarn Flagge. Vorbei an Asien gelangt die Besucher schließlich auf einen niedersächsischen Dorfplatz mit malerischen Fachwerkhäusern, doch dahinter wird schon ein Stück Alt-Russland sichtbar. Überall ragen die Flügel von teilweise gewaltigen Windmühlen in den Himmel, und in idyllischen Wasserläufen klappern die Räder altehrwürdiger Wassermühlen, wie man es sonst nur noch aus dem Märchen kennt. Und tatsächlich mutet das Internationale Wind- und Wassermühlenmuseum im niedersächsischen Gifhorn nicht nur aufgrund der teils exotischen Gebäude recht märchenhaft an.

Sie entführen die Besucher in verschiedene Länder und zugleich in eine längst vergangene Epoche der Technikgeschichte. Erstaunlich klingt auch die Geschichte, die Gründer Horst Wrobel über die Entstehung der einzigartigen Anlage erzählt. Der 78-Jährige sitzt auf dem Dorfplatz seines Museums vor dem Nachbau eines niedersächsischen Bauernhauses, lässt sich von einer Kellnerin des Museumscafés ein Stück frisch gebackenen Streuselkuchen auf den einem Mühlrad nachempfunden Tisch stellen und erzählt, wie alles vor einem knappen halben Jahrhundert mit einer zufälligen Bewegung begann.

30 Jahre alt war der gebürtige Schlesier damals, als er bei einem Ausflug in der zwischen Braunschweig und Königslutter gelegenen Gemeinde Abbenrode eine alte Bockwindmühle entdeckte. „Der Anblick war großartig, ich beobachtete, wie sich die Flügel im Wind drehten, und kam schnell mit dem alten Müllermeister ins Gespräch, der mich in diesem technischen Wunderwerk herumführte und mir die Funktion der hölzernen Räder und Wellen im Inneren erklärte“, sagt Wrobel, der bis dahin nichts mit Mühlen zu tun gehabt hatte. Von diesem Tag an sollte sich das gründlich ändern, denn nun hatte er sich lebenslang infiziert.

Zu Hause in Braunschweig, wo er als Dekorateur bei Karstadt arbeitete, begann er die Abbenroder Mühle im Maßstab 1:25 nachzubauen. Er las alles, was sich über die Geschichte und Technik der Mühlen finden ließ. Er besuchte und fotografierte Wind- und Wassermühlen, fand Kontakt zu Fachleuten und bildete sich autodidaktisch weiter, sodass aus dem Mühlen-Fan ein Mühlenexperte wurde, der bald auch Verbindungen ins Ausland suchte. Am Küchentisch baute Wrobel die Modelle zahlreicher Mühlen nach, stets mit dem Ehrgeiz, jedes Detail original- und maßstabsgetreu abzubilden. Der Bestand wuchs so stark an, dass er mit der Unterstützung seiner Familie 1974 in Suhlendorf bei Uelzen sein erstes Mühlenmuseum eröffnete.

Schon damals ging es ihm nicht um Heimatkunde, sondern vor allem darum, die Geschichte einer faszinierenden Technik mit Modellen, möglichst aber auch mit Originalen und Nachbauten erlebbar werden zu lassen. Nach Querelen mit der Gemeindeverwaltung entschied sich der umtriebige Museumsgründer, mit Sack und Pack nach Gifhorn umzuziehen, denn dort fand sich ein 16 Hektar großes Freigelände, das ihm die Chance bot, in wirklich großem Maßstab zu planen und zu handeln. Das Gelände wurde planiert und zu einer künstlichen Landschaft mit reizvollen Blickbeziehungen, Wasserläufen und einem See modelliert. Zuerst entstanden hier zwei Wind- und eine Wassermühle. Eine der frühen Bauten war Immanuel, ein sogenannter Deutscher Bergholländer, den der Verleger Axel Springer erworben und Wrobel später zu einem symbolischen Preis überlassen hatte. Die Mühle wurde abgebaut, nach Gifhorn transportiert, dort restauriert und wieder aufgebaut.

Heute ist sie eine von insgesamt 16 originalen oder rekonstruierten Großbauten, zu denen zum Beispiel eine 300 Jahre alte Tiroler Wassermühle, eine ungarische Donau-Schiffsmühle, eine portugiesische, französische, balearische, griechische sowie eine russische und eine ukrainische Windmühle gehören. In einer 800 Quadratmeter großen Ausstellungshalle sind außerdem 49 Modelle von Mühlen aus 20 Ländern zu sehen, an denen die komplizierte Technik in allen Details erklärt und vorgeführt wird.

„Besonders fasziniert mich die russische Holzarchitektur, denn sie kündet von einer enormen handwerklichen Meisterschaft“, sagt Horst Wrobel und zeigt auf die russische Bauernwindmühle, die als Geschenk der Moskauer Andrej-Rubljow-Stiftung ins Museum gekommen ist. Nur unweit entfernt erhebt sich am südöstlichen Ende des Museumsgeländes ein ungemein malerischer Bau, der eindeutig keine Windmühle ist, aber ebenfalls aus Russland kommt. „Es ist der Nachbau der Holzkirche des heiligen Nikolaus, die ich 1992 bei einem Besuch im Freilichtmuseum im russischen Susdal gesehen habe“, erklärt Horst Wrobel. Er entschloss sich, diese wunderschöne Kirche, die heute tatsächlich für orthodoxe Gottesdienste genutzt wird, mit allen Details in Gifhorn nachzubauen.

Warum entschied er sich diesmal ausgerechnet für eine Kirche und nicht für eine weitere Mühle? „Weil die Krönung für mein Schaffen als Holzhandwerker kein Profanbau sein sollte, sondern eben eine Kirche, in der alle Raffinessen der Handwerkskunst angewendet werden können“, sagt Horst Wrobel, der außerhalb des Museumsgeländes mit dem in diesem Jahr eröffneten „Glockenpalast“ eine Institution eröffnet hat, in der die alten Handwerkstechniken neu belebt werden sollen.

Internationales Wind- und Wassermühlen-Museum Bremer Straße, 38518 Gifhorn, bis 31.10., tägl. 10.00–18.00, Eintritt 10,-/erm. 4,- (Kinder); www.muehlenmuseum.de