Immer mehr Senioren entdecken das Internet. Die kauffreudige Generation ist begehrte Zielgruppe. Doch der Weg ins Netz ist häufig problematisch

Hamburg. Am Anfang, erzählt Inge Böttger, da dachte sie, das Internet befinde sich im Bildschirm ihres Computers. Heute kann die 75-Jährige E-Mails schreiben, skypen und googeln. Weil sie Mitglied im Computer-Club im Haus im Park der Körber-Stiftung in Bergedorf ist.

Inge Nicolaysen ist 83 Jahre alt – und die Älteste im Club. Auch sie kann „Emils“ schreiben. Und sie hat sich auch letztens mal dieses „Ebi“ angeschaut, wo man Dinge ersteigern kann. Ihre Enkel wissen zwar, dass das Online-Auktionshaus im richtigen Leben Ebay heißt – wenn es aber um praktische Dinge in Sachen Internet geht, kommen sie zu Oma und fragen: „Kannst du mir zeigen, wie das geht?“

Ein Drittel der Generation der über 65-Jährigen nutzt das Internet. Das geht aus einer Umfrage des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien aus dem vergangenen Jahr hervor. Im Jahr zuvor nutzten noch 24 Prozent der Zielgruppe das Netz.

Die Zielgruppe der älteren Menschen ist interessant für die Internetwirtschaft: Ältere Menschen gelten als kauffreudig. Die Demografie lässt die Zielgruppe wachsen.

Während die Jüngeren wie selbstverständlich mit dem Internet groß werden, haben viele Ältere noch Vorurteile. Sie haben Angst vor der Technik, vor Datendiebstählen und davor, persönliche Kontakte zu verlieren und nur noch von einer Maschine bestimmt zu werden. Im Computer-Club in Bergedorf sollen diese und andere Vorurteile verschwinden.

Seit elf Jahren gibt es den Club schon. Chef ist der 72 Jahre alte Tutor Peter Minks. 19 Schülerinnen und Schüler im Alter von 62 bis 83 Jahren hat er. Wer neu hinzustößt, bekommt einen Paten zur Seite gestellt, denn viele wissen erst gar nicht, was dieses Internet eigentlich ist.

Zum Beispiel der Browser, erzählt Inge Böttger. Der Tutor sei zu einem Schrank gegangen und hätte die Tür geöffnet und mehrere Akten herausgeholt. Ein Browser funktioniere wie ein Aktenschrank, habe der Tutor erklärt. Man könne eine Internetseite öffnen und darin blättern – oder auch zusätzliche andere Seiten aufmachen und darin blättern. So habe sie den Browser kapiert. „Ich habe gelernt: Aus dem Monitor des Computers kommt keine Faust raus, wenn ich etwas falsch mache“, sagt Böttger.

Zusammen testen die Senioren aus Bergedorf, was der Internetmarkt für sie hergibt. Sie haben ausprobiert, wie man online ein Bahnticket oder gleich eine ganze Reise bucht. Sie haben gelernt, wie Skypen geht: Als Hausaufgabe haben sie sich gegenseitig per Videoschalte anrufen müssen. Auch die Mediennutzung ist kein Problem mehr für sie: Wenn sie die „Lindenstraße“ oder die Serie „Rote Rosen“ verpasst haben, klicken sie in die Mediathek und schauen sich die versäumte Sendung online an. Margit Schneider-Wolter, 68, brauchte neulich Hilfe beim Stricken. Wie strickt man die Ferse einer Socke? Bei YouTube wurde sie fündig: Dort hatte jemand ein Video davon gemacht, wie das mit dem Fersenstricken funktioniert.

Soziale Netzwerke sehen die surfenden Senioren skeptisch. „Wir haben lieber reale Freunde“, sagt Schneider-Wolter. Und Inge Nicolaysen ergänzt, dass ihre Generation bei Facebook nicht so stark vertreten sei. Außerdem habe sie mitbekommen, wie ihre Enkeltochter vom Ex-Freund via Facebook schwer beleidigt wurde – seitdem surft die Oma dort erst recht nicht hin.

Die Mitglieder des Computer-Clubs verstehen sich so gut, dass sie gemeinsam auf Reisen gehen. Sie waren schon an der Mosel, in diesem Jahr in Dresden. Die Fotos teilen sie – auf einem gemeinsamen Netzwerk. Gemeinsam haben sie gelernt, wie man online ein Fotoalbum erstellt und bestellt.

Die Nachfrage nach Internet ist also da. Darüber freut sich Barbara Keck von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO). Die BAGSO setzt sich dafür ein, dass Senioren die Vorteile des Internets kennenlernen. „Senioren können über das Internet besser mit ihren Freunden Kontakt halten – und sogar neue Bekanntschaften schließen. Sie brauchen nicht mehr bei Wind und Wetter zur Bank und können auch online einkaufen, wenn sie ihre Wohnung nicht verlassen können“, sagt Keck.

Im Nutzungsverhalten seien die Senioren manchmal anders als die junge Generation: Soziale Netzwerke wie Facebook seien noch nicht so gefragt. Beim Einkaufen machten sich viele vorher im Internet schlau – und kauften anschließend in einem Laden ein. Jüngere machten es genau andersherum.

Und dennoch gibt es nach Auffassung der BAGSO einige Dinge in Internet, die aus Sicht der Senioren besser laufen könnten. Das fängt schon mit dem Computer an: „Viele fühlen sich mit der Technik alleingelassen. Es wäre gut, wenn man die Geräte gleich nutzen und lossurfen könnte“, sagt Barbara Keck. Doch auch auf den Seiten selbst gebe es Probleme für die surfenden Senioren: Die Schriftgröße sei häufig zu klein, auch die Kontraste auf den Seiten reichten oft nicht aus. Keck vermisst Service-Telefonnummern auf den Internetseiten, wo Senioren anrufen können, die nicht weiterkommen. Blinkende Werbung und schlecht zu findende Links zum Anklicken stören Senioren – wie schlechte Benutzerführungen, die dazu führen, dass sie nicht mehr wissen, wie sie zur Startseite zurückkommen. „Google hat auch deshalb Erfolg, weil die Seite so einfach ist“, sagt Barbara Keck.

Mit Google kennt sich auch Inge Böttger aus dem Computer-Club in Bergedorf gut aus. Letztens hatte sie Probleme mit ihrer Heizung, ihr Klempner sagte, dass sie eine neue brauche. Da setzte sich die 75-Jährige an ihren Rechner und googelte. Sie fand heraus, dass es für ihr Heizungsproblem ein Ersatzteil gab. Sie bestellte es und sagte dem Klempner, dass er das Teil einbauen solle. Das klappt nie, sagte der Mann. Sie sagte, er solle tun, was sie sage. Jetzt läuft die Heizung wieder. Und Inge Böttger hat 10.000 Euro gespart.