Videoportale bieten noch nicht, was sie bieten könnten – und deutsche TV-Zuschauer sind offenbar bequemer als andere. Gelernte Bequemlichkeit ist ein Phänomen, das auch beim modernen Pop-Formatradio zu beobachten ist.

Wer danach fragt, warum es noch immer das klassische Fernsehprogramm ist, das die meisten Spielfilme hierzulande in die Wohnzimmer liefert, wird von der Wissenschaft gern belehrt. Bei den Deutschen scheint eben jener Charakterzug besonders ausgeprägt, der sich „choice fatigue” nennt und mit „Ermüdungserscheinung durch übergroße Auswahl” übersetzen lässt.

Wer also keine Lust verspürt, sich am Abend ein Wunschvideoprogramm aus dem prinzipiell unübersichtlichen Internet zusammenzuklauben und es über Umwege auf den Fernseher zu hieven, bleibt beim linearen Programm, das die Sender seit Jahrzehnten zuverlässig liefern und das praktischerweise stets auf Knopfdruck verfügbar ist.

Diese gelernte Bequemlichkeit ist ein Phänomen, das auch beim modernen Pop-Formatradio zu beobachten ist. Kaum jemand wird von sich behaupten können, den hier hörbaren oft kruden Mix aus Placebo, Tina Turner und Falco auch auf seinem privaten iPod gespeichert zu haben (zumindest nicht auf einer Playlist).

Aber die Faulheit, umzuschalten, lässt die meisten Menschen letztlich das tun, was die Programmmacher von ihnen erwarten: dranbleiben und auf den nächsten halbwegs erträglichen Song warten.

Mit dem Fernsehen verhält es sich ähnlich. Erschwerend kommt hier allerdings hinzu, dass all jene Videoportale, die es per App auf die Empfangsgeräte der neuen Generation geschafft haben, noch immer an einer sehr übersichtlichen Auswahl an Titeln leiden und somit oft hinter den Erwartungen der Interessenten zurückbleiben.

Der Traum von einem Anbieter, der auf Knopfdruck (und zudem zu einem annehmbaren Preis) nahezu jeden beliebigen Film ins Wohnzimmer bringt, wird sich in absehbarer Zeit nicht erfüllen. Nur ein Grund hierfür ist, dass das Feld der Online-Videoplattformen seit Jahren Austragungsort weltweiter medienpolitischer Grabenkämpfe ist: Produzenten gegen Distributoren, mitunter altmodisch agierende Fernsehsender gegen selbst ernannte Alleskönner wie Google oder Apple.

Auf nationaler Ebene schließlich duellieren sich Kabelnetzbetreiber, Satelliten-Plattformen und IPTV-Anbieter, die jeweils ihre ganz eigene Vision davon haben, wie es künftig gelingen könnte, sich mit Videoangeboten auf Abruf zu finanzieren.

Vergangene Woche erst hat Google wieder einmal bekannt gegeben, man wolle einen Online-Dienst schaffen, der künftig sowohl die linearen Programme des Fernsehens als auch Videoinhalte zum kostenpflichtigen Abruf bietet. Also das, was die Telekom hierzulande schon länger tut, nur eben in großem, kalifornischem Stil, versteht sich.

Der letzte Versuch in diese Richtung, das sogenannte Google TV, blieb weit hinter den Erwartungen zurück und schaffte es nie bis nach Deutschland, ebenso wenig das eindrucksvolle Videoangebot von Netflix, dem Unternehmen, das nach eigenen Angaben für zwei Milliarden Dollar pro Jahr neue Filme und Serien einkauft.

Netflix ist eine On-Demand-Plattform, die in den USA über 30 Millionen Abonnenten hat. Diese können Filme und Serien über das Internet sowohl auf ihren Computer, aber eben auch bequem auf ihre Fernsehgeräte spielen – für wenige Dollar pro Monat. Die Auswahl ist dank weitreichender Verträge mit großen Filmstudios beträchtlich. Freilich hat auch dieses Unternehmen in den vergangenen Jahren dazugelernt, an seinem Selbstverständnis gefeilt – und gibt mittlerweile selbst die Produktion von Qualitätsserien in Auftrag: „Lilyhammer“, eine Serie über einen New Yorker Gangster, den es in die norwegische Einöde verschlägt (und die hierzulande hoffentlich bald auf Arte zu sehen sein wird), war ein Erfolg.

Ebenso die neueste Eigenproduktion „House of Cards“. Sie hat in der vergangenen Woche neun Nominierungen für den begehrten amerikanischen Fernsehpreis Emmy erhalten, und das, obwohl noch kein Fernsehsender sie bislang ausgestrahlt hat.

Sky, das Unternehmen, das sich wenige Jahre zuvor noch unter dem Namen „Premiere“ darin versuchte, den Deutschen das Bezahlfernsehen beizubringen, scheint dank Fußballübertragungen und aggressiven Marketings die schlimmsten Tage überstanden zu haben. Doch der Kanal Sky Atlantic, der den deutschen Abonnenten „aktuelle Serienhits“ vom US-amerikanischen Ausnahmebezahlsender HBO verspricht, dürfte den wenigsten hierzulande ein Begriff sein.

Portale wie Amazons Lovefilm, Maxdome von ProSiebenSat.1 oder Filme aus dem iTunes-Online-Laden von Apple sind hierzulande weit davon entfernt, es in größerem Stil auf die Wohnzimmerschirme geschafft zu haben. Apple TV, der kleine Kasten zum Anschluss an den Fernseher, ist nach wie vor ein Nischenprodukt.

Dass die meisten Deutschen zwar die Chance einer freien Auswahl von Filmen durchaus schätzen würden, diese jedoch nicht immer auszuleben gedenken, ist dann eine weitere Erkenntnis, mit denen Betriebswissenschaftler wie Techniker freilich bis heute wenig anzufangen wissen, die aber zumindest psychologisch erklären könnte, weshalb sich in Deutschland der On-Demand-Videomarkt so schleppend entwickelt.

In diesem Land, in dem es unzählige frei empfangbare Fernsehprogramme gibt, scheint es für viele außerdem allzu verlockend, das Gegebene zu nutzen. Der deutsche Zuschauer und sein Fernseher, sie waren stets ein Studienobjekt für Fortgeschrittene. Selbst der hoch gelobte Videorekorder hat es hierzulande nie vermocht, den Fernsehkonsum in nennenswertem Maße zeitlich zu verlagern.