„Jedermann“ in Salzburg

Hamburger Peter Lohmeyer spielt erstmals den Tod

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Paul Jandl

Julian Crouch legt die Bilder hinter der drögen Handlung frei. Der Hamburger Peter Lohmeyer verkörpert in Salzburg erstmals den Tod. Für die Salzburger Festspiele ist das Stück die Geldkuh.

Salzburg. Der Mammon ist auch schon einmal schnöder dahergekommen. Aus einer Riesenschachtel erhebt er sein goldenes Haupt, er hat Zähne ohne Zahl und so lange Arme, dass er sie glatt um ein paar Leute in den teuersten Reihen schlingen könnte. So ist es, das Geld, ein ewig gefährlicher Schachtelteufel, der nicht so einfach in sein Behältnis zurückzustopfen ist, und damit ist er ein Paradeding für einen Puppenspieler wie Julian Crouch.

Mit dem „Struwwelpeter“ alias „Shockheaded Peter“ hat Crouch in den vergangenen Jahren die Theaterfestivals der Welt bereist, und in Anbetracht der Tatsache, dass der „Struwwelpeter“ vielleicht ein pädagogisches Parallelstück zum „Jedermann“ ist, musste der Brite unbedingt in Salzburg landen. Bei Hugo von Hofmannsthals Moralklassiker lässt er jetzt mit dem Regiekollegen Brian Mertes die Puppen tanzen. Das ist ein melancholischer Spaß am menschlichen Abgrund, und überhaupt: In den Orkus mit alten Salzburger Gewohnheiten!

Denn der „Jedermann“ ist die Hauptaktie im symbolischen Tausch der Salzburger Festspiele. Mit dieser katholisch aufgebrezelten Kamelle hat ihr Miterfinder Hugo von Hofmannsthal sein Judentum auf so bombastische Weise überkompensiert, dass darin auch noch Platz war für moralischen Ablasshandel jeder Art. Wenn die Mahnungen seit 1920 über den Domplatz hallen, dann kann es jedem nach seinem Gusto gruseln, und man weiß doch, dass alles gut ausgeht.

Für die Salzburger Festspiele ist das Stück über den geizigen reichen Mann seit fast 100 Jahren die Geldkuh, und sollte die unbeirrbar nach Salzburg pilgernde Society noch was von höherer Sittlichkeit hören wollen, wird es ihr hier aufs Schonungsvollste vorgesetzt. Niemals geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, aber der Reiche hat bei guter katholischer Führung freie Fahrt in den Himmel. So weit, so gut, und wenn zumindest auf der Bühne ein grämlicher Gott einem Auserwählten seiner irdischen Abkömmlinge mal wieder richtig die Leviten lesen will, dann läuten die Glocken des Salzburger Doms dazu.

Es mag schon Charismatischere als ihn gegeben haben, aber mit Cornelius Obonya als neuem Jedermann hat es schon seine Richtigkeit. Das österreichische Nachrichtenmagazin „Profil“ hat aufgedeckt, dass der Enkel des Ex- und Langzeit-Jedermanns Attila Hörbiger und von Paula Wessely schon als Kind in der Jedermann-Garderobe mit Mozartkugeln versorgt wurde, bis er sich übergeben musste. Das ist Anfüttern auf Salzburgisch. Heute ist Obonya ein kerniger und erstaunlich quirliger Jedermann, dessen straff sitzender Smoking genügend Spielraum lässt für Lebensfreude und Todesangst.

Das Schicksal spielt am Ende Blinde Kuh mit diesem Superreichen, und seine Gefährten tun es auch, sie drehen ihn auf der Bühne, dass er nicht mehr weiß, wie ihm geschieht. Mit seiner Macht des Geldes kann Obonya die Welt umarmen, wenn nicht zerdrücken, ohne sie ist er ein Nichts. Und dampfend wechselt dieser Jedermann zwischen beidem, während ihm Brigitte Hobmeier als natürliche Referenzgröße zur Seite steht.

Hobmeier ist keine Somnambulschaft, wie es manche gegeben hat. Sie fährt mit dem Fahrrad vor, dass sich das rote Kleid bis über die Strapse bauscht. So eine, die ihn lachend bis zum kleinen Tod zwischen die Schenkel nimmt, könnte den Jedermann in den finalen Wahnsinn treiben, wenn es da nicht noch den großen Tod geben würde.

Ganz in Weiß kommt er daher. Kahlköpfig, in dezentem Skelettdesign und sehr filigran spielt Peter Lohmeyer einen Edelsensenmann. Er zieht seinen Klienten mit sich und das Tischtuch der langen Tafel, auf dem noch die scheppernden Trinkbecher des Mahls hängen. Das im Salzburger Abendwind geblähte Textil ist wie das Segel des Narrenschiffs, von dem hier erzählt wird.

Christian Stückls letzter „Jedermann“ war intellektuelles Oberammergau, die Decouvrierung eines Volksstücks, die dann selber als Volksstück daherkam. In den Äonen der Jedermann-Produktion war das solide, aber nicht unbedingt ganz anders als das, was es vorher schon gegeben hat. Brian Mertes und Julian Crouch gehen in der Historie einen Schritt weiter zurück und brechen gleichzeitig mit Traditionen. Ihr „Jedermann“ ist die Verweltlichung eines Mysterienspiels, er ist durchbrochen mit Zitaten und Anspielungen und orientiert sich dabei nur oberflächlich an der Literatur des 16. Jahrhunderts.

Dieser „Jedermann“ will ein barocker Vanitas-Spaß sein. Mit Blaskapelle und als fahrendes Volk kommt das Ensemble vom Salzburger Festspielhaus zum Domplatz gezogen, Narren sind dabei und die von Max Reinhardt geliebten Blumenkranzmädchen, es gibt die 20er-Jahre und grausam behörnte Masken wie aus einer griechischen Tragödie. Den allegorischen Firlefanz nehmen die beiden Regisseure nur so weit ernst, als sich daraus poetische Bilder schlagen lassen, und wenn sie es tun, wird diese Inszenierung zum großen Kino. Man hat die Bühne vom Dom abgesetzt, dem Stück das allzu aufdringlich Katholische genommen oder es ironisiert. Die fünf Heiligen der Domfassade sind auf der Holzbühne in fünf schlichten Säulen wiederholt, die das Theatergebäude tragen. Davor tummeln sich Schuldner und Reiche, Menschen und Narren. Auf einem Holzstuhl über den Menschen thront der Glaube, gemächlich lässt er Wasser aus einer Schüssel auf den Jedermann laufen, um für moralische Hygiene zu sorgen.

Die „Guten Werke“ sind halb Puppe, halb Mensch, eine Marionette, die nur laufen kann, wenn einer sie führt. Gott ist bei Brian Mertes und Julian Crouch ein Kind, das durch ein riesiges Sprachrohr spricht. Bis ins Winzigste haben Mertes und Crouch ihren „Jedermann“ ausgetüftelt, und das Schöne ist, dass die Ideen auch im Großen wirken. Hofmannsthals altbackenes Stück, an dem sich Generationen von Regisseuren und Schauspielern vor hartnäckig unverdrossenem Publikum die Zähne ausgebissen haben, scheint hier so aufgefrischt, dass man bemerkt, dass es die Bilder sind, die auf schönste Weise den Text verdrängen.

An den besten Stellen dieser Inszenierung (bezeichnenderweise sind es die mit dem Tod), vergisst man Hofmannsthals geknittelte Verse, seine morbide Moral und die dröge Handlung, und man lässt sich auf ein Mysterienspiel ein, dessen Mysterium in der ruhigen Dramaturgie der Augenblicke liegt, auf eine Inszenierung, die sich freimacht vom tödlich nervösen Herzrasen des Katholizismus.

Wenn es Brian Mertes und Julian Crouch um schlichte Unmittelbarkeit gegangen ist, dann haben sie dieses Ziel erreicht, und den „Jedermann“ auf eine Weise entstaubt, die für Salzburger Verhältnisse atemberaubend ist. Seit über 90 Jahren wird hier gestorben, 16 Jedermänner wurden unter die Erde gebracht. Dem Letzten in der Reihe wird am Ende noch ein Bäumchen gepflanzt. Seine papierenen Blätter zittern im Wind, als wäre es echt.