Spiel mit Klischees: Das Roadmovie „Jackie – Wer braucht schon eine Mutter?“

Das Kino inszeniert immer wieder äußere Anlässe, um Blutsverwandten die zweifelhafte Freude einer Erst- oder Wiederbegegnung zu verschaffen. Bei „Jackie – Wer braucht schon eine Mutter“ sind die Reise-Gründe viel handfester: ein gebrochenes Bein und ein kaputtes Trommelfell.

Zwei schöne Metaphern eigentlich für eine Aussteiger-Amerikanerin, die sich für ihre gleich nach der Geburt weggegebenen Zwillingstöchter nie ein Bein ausgerissen hat. Die längst erwachsenen Frauen leben in den Niederlanden als Adoptivkinder eines schwulen Paares, alles schön konventionell unkonventionell. Bis ein Anruf aus Amerika kommt: Jackie, diese „Gebärmutter“ (wie Sofie sie nennt), müsse in eine Reha-Klinik gebracht werden.

Was die Schwestern angeht, bedient die niederländische Regisseurin Antoinette Beumer lustvoll die Klischees. Daan (Jelka van Houten) ist das unselbstständige Blondchen, Sofie dagegen (Jelkas Original-Zwillingsschwester Carice van Houten) kennt als sarkastische Redakteurin weder ein Privatleben noch das Bedürfnis, ihre wahre Herkunft zu ergründen. Trotzdem kommt es zum gemeinsamen Aufbruch nach Amerika und zum Einsammeln der Kranken, zu dritt fährt man weiter durch die Wüste, im Wohnmobil. Fliegen geht ja nicht, wegen des Trommelfells. Also: Roadmovie, Grenzerfahrung, Annäherung.

Holly Hunter als verwitterte, wortkarge Indiana-Jones-Jackie mit wehendem Haar und Knarre unterm Kopfkissen, ist deformiert durch Krankheit, Daan durch ihren Mann und Sofie durch ihren Beruf. Jackie spricht auch in der Synchronfassung ihr knurriges Englisch, Sofie wurde ein finster hingerotztes Deutsch verpasst und Daan flötender Selbstbehauptungswille. Die Kluft zwischen ihnen ist feiner inszeniert als die Figuren selbst, doch auch diese entwickeln Zwischentöne. Die Klischees bröckeln. Wie unsentimental dieser Film wirklich ist, merkt man allerdings erst beim völlig überraschenden „P.S.“, das es an Coolness mit Wim Wenders und Jim Jarmusch aufnimmt.

++++- „Jackie – Wer braucht schon eine Mutter?“ Niederlande 2012, 100 Min., ab 12 J., R: Antoinette Beumer, D: Holly Hunter, Carice van Houten, Jelka van Houten, täglich im Abaton, Koralle, Passage; www.jackie-derfilm.de