Mit dem Themenschwerpunkt „Summer of Soul“ stellt Arte ab Sonntag erneut seine Musikkompetenz unter Beweis

Popmusik im deutschen Fernsehen: ein trauriges Lied. Wäre da nicht dieser kleine, halb gallische Sender, der unbeugsam etwas von seiner kostbaren Zeit dem Neuen und Allerneusten in der Musik zur Verfügung stellt, ganz Germanien bliebe von spannenden, unerhörten Tönen verschont. Nachdem „One Shot Not“ mit Manu Katché auf Arte sträflicherweise eingestellt wurde, ist „Tracks“ dort das einzige verbliebene TV-Format, das den Fan zeitgenössischer Popmusik noch vor den Flachbildschirm locken kann. Jetzt im Sommer stellt Arte seine einsame Musikkompetenz erneut unter Beweis und bringt noch viel mehr tolle Musik, die allerdings nur in Ausnahmefällen von heute stammt. Ab kommenden Sonntag leistet sich der Sender einen ausführlichen und facettenreichen Rückblick auf das neben Blues und Jazz wohl einflussreichste Genre der (ganz überwiegend) schwarzen US-amerikanischen Musik: den Soul.

„Summer of Soul“ heißt die Themenjahreszeit, die des Kulturmenschen liebste Fernsehanstalt an den kommenden Wochenenden ausrichtet. Bis 18. August läuft das ehrgeizig zusammengestellte Programm, das neben viel Musik auch die wesentlichen Spielfilme zeigt, in denen es im engeren oder weiteren Sinne um Soul geht, Dokus über die berühmtesten Vertreterinnen und Vertreter der Gattung sowie Porträts der stilprägenden Labels. Die Struktur der Sendungen folgt an jedem der sechs Sonntage einem anderen Motto. An vier der fünf Sonnabende laufen dann die Folgen der Reihe „Soul Power“, die die Geschichte des Genres aus unterschiedlichen Blickwinkeln erzählt, außerdem gibt es zwei ebenfalls „Soul Power“ genannte Konzertmitschnitte aus Clubs in Paris und Hamburg aus diesem Jahr. Schließlich haben die Verantwortlichen noch etliche Regalmeter Archivmaterial der US-Show „Soul Train“ gesichtet und daraus das ihrer Meinung nach Beste und Spektakulärste zusammengestellt. Soul satt also, punktgenau zur heißen Jahreszeit.

Damit die Eröffnung der Soul-Sause auch ja keiner verschläft, läuft am kommenden Sonntag zur besten Sendezeit (20.15 Uhr) gleich einer der populärsten Spielfilme zum Thema: „Ray“, das Bio-Pic über Ray Charles, in dem der Regisseur Taylor Hackford Musik, private Lebenstragödien und den politische Aufruhr der späten 50er-, frühen 60er-Jahre in den USA auf ebenso spannende wie unterhaltsame Weise miteinander verschränkt. Jamie Foxx bekam für seine Darstellung der Titelfigur 2005 den Oscar.

Wie eng die Geschichte des Soul tatsächlich mit der Geschichte des erwachenden Selbstbewusstseins der afroamerikanischen Bevölkerung der USA verknüpft ist, zeigt im Anschluss die Dokumentation „Show Me Your Soul – Die Soul-Train-Jahre“ (22.40 Uhr). Darin geht es um die Serie „Soul Train“, die 1971 von dem Produzenten und Moderator Don Cornelius ins bis dato von einem großen weißen Fleck dominierte US-Fernsehen bugsiert wurde. 35 Jahre lang präsentierte der hippe, schlanke, freundliche Typ die aufregendste neue Musik seiner schwarzen Soulbrüder und -schwestern, und die wandelte sich natürlich über die Jahrzehnte. Zum Soul kamen Disco und später Hip-Hop und Rap. Viele der Stars, etwa Stevie Wonder, traten schon ganz am Anfang ihrer Karriere bei Cornelius auf und kehrten ein paar Weltruhmjahre später gern zu ihm zurück. Das verleiht seiner Show den Charakter eines klingenden, zudem extrem kurzweiligen Geschichtsbuchs.

Auf die Doku folgt prompt ein erstes „Best of“ aus den „Soul Train“-Archiven: „Palace of Groove“ (23.35 Uhr) bietet in acht Folgen à knapp 30 Minuten thematisch gegliedert Highlights des „Soul Train“. Den Anfang machen James Brown, auch er ein häufiger Gast bei Don Cornelius, Patti LaBelle und Sly and The Family Stone. Höhepunkte unter den Spielfilmen sind Quentin Tarantinos „Jackie Brown“ (21.7., 20.15), „Ali“ über den Boxer und Vietnamkriegs-Verweigerer Muhammad Ali (28.7., 20.15), sowie die Klassiker „Shaft“ (4.8., 20.15) und, unverzichtbar, „Blues Brothers“ (11.8., 20.15). Zu den Stars der Feature-Filme zählen auch Marvin Gaye, Whitney Houston, Donna Summer und Stevie Wonder.

Im Herzen der ganzen Unternehmung steckt auch ein schönes Stück Hamburg. Als gute Seele am Moderatorenmikrofon gewannen die Arte-Leute für den „Summer of Soul“ den ziemlich begnadeten Stegreif-Rapper Samy Deluxe. Der begann sich zwar erst nach seinen ersten Erfolgen als Reim-Talent zu Schulzeiten mit Soul zu befassen, denn am Anfang hatte er keine besonderen musikalischen Ambitionen. Inzwischen aber könne er auch ganz ordentlich singen, findet Deluxe, was er auch seiner intensiven Beschäftigung mit Soul zuschreibt. Und die vielfältigen politischen Implikationen des Genres – Bürgerrechtsbewegung, Black Power, das ganze Programm von Martin Luther King über Malcolm X bis zur Nation of Islam – hat er so wissbegierig in sich aufgesogen, dass er ohne Probleme und ohne Manuskript stundenlang so darüber referieren kann, dass jeder spürt: Diese Geschichte ist nicht nur eine Geschichte der Schwarzen in den USA, es ist irgendwie auch seine Geschichte. Jedenfalls hat sie in ihm einen leidenschaftlichen Chronisten.

Die gemeine norddeutsche Sofakartoffel lässt sich bekanntlich nur schwer aus der Ruhe bringen. Doch die Grooves des Soul mit ihren knochentrockenen Basslinien, den zischelnden Becken, den funky Akkorden auf dem Hohner Clavinet, den hitzigen Wah-wah-Gitarren-Riffs und den oft mehr gestöhnten als gesungenen Songzeilen stellen das Phlegma auf eine harte Probe. Und wer die farbenfroh angezogenen jungen Leute aus den 60ern sieht, wie sie sich da im TV mit oft aberwitzig schlangenhaften Bewegungen zu den Soul-Hymnen winden, spielerisch elegant und voller Freude, der wird womöglich sogar irgendwann den Teppich wegrollen und die müden Knochen selber tanzend in Bewegung bringen.

„Summer of Soul“ So 14.7., 20.15, 22.40, 23.35 (bis 18.8. jeden Sa/So), Arte