Die Macher des Hamburger „FALL“-Magazins feiern jedes fertige Heft mit einer Party für die Mitarbeiter, die meist auf ein Honorar verzichten.

Hamburg. Es ist gedruckt, auf nicht überragend feinem Papier, und hat so gut wie keine Anzeigen. Klassische Werbung in eigener Sache findet nicht statt, wozu gibt es Facebook und Mundpropaganda. Die Auflage liegt bei 10.000 Stück. Keine Abos. Die Erscheinungstermine sind, sagen wir mal: relativ. Wenn es fertig ist, kommt es. Wenn nicht, dauert es wohl noch. Die Mischung der Texte – Porträts, Essays, Reportagen, literarische Kurzstrecken – passiert vor allem nach dem Prinzip Wundertüte. Die Bildsprache hat einen ganz eigenen Tonfall, Und so ziemlich das Sympathischste steht im Kleingedruckten des Impressums verborgen, auf der vorletzten der 48 eigenwillig bedruckten Seiten. „Das FALL-Magazin liegt dort aus, wo es uns gefällt.“ Heißt also: Was weg ist, in den gleichgesinnten Museen, Galerien, Clubs und Cafés in Hamburg, ist weg. Pech gehabt.

Eigentlich machen die Macher dieses kleinen Lesevergnügens mit ihrem Produkt so ziemlich alles falsch, wenn man nur an einige der ganz klassischen Spielregeln der Medienbranche glaubt. Und dennoch ist kürzlich die fünfte Ausgabe erschienen. „Wahn“ war das Titelthema, unter anderem mit einem subtil geschriebenen, edel bebilderten Porträt des Thalia-Stars Philipp Hochmair, einem Interview mit dem über Wagner fabulierenden Größtkünstler Jonathan Meese und einer Schwarz-Weiß-Bildstrecke aus den Eingeweiden der Staatsoper zum Wagner-Marathon.

Mit ein bisschen Glück findet man noch Ausgaben, irgendwo in der Stadt, als Sammlerstücke. Ein schönes Selbstgeschenk zum ersten kleinen Jubiläum und ein Erfolgsgeschichtchen, das zeigt, wie nett selbstbestimmt man es sich mit dem Schreiben eigener Texte in der Nische einrichten kann, wenn Geldverdienen woanders passiert und Reinreden von außen draußen bleibt. Wenn man zu klein ist für Krisen-Geunke.

„Mehr Lust als Strategie“, fasst Ulf Pape, einer der Stammautoren, das Konzept zusammen. „Wir machen das mit Spielfreude, das hat ein wenig einen Verschenk-Charakter“, beschreibt Pape das Lustprinzip. „Das mögen wir. Vielleicht kommt ja mal jemand, der sagt, ihr braucht einen Etat oder so. Aber die sagen dann auch ganz viele andere Dinge. Und dann können wir womöglich das Hochmair-Porträt nicht mehr mit einem Goethe-Zitat beginnen, sondern müssten einen dieser leserfreundlichen Einstiege nehmen. Und das wollen wir gar nicht.“ Vielleicht ist diese Antwort Ironie, auf jeden Fall aber auch eine Haltung. Die beiden Herausgeber Dagmar Hanneger und Denys Karlinskyy haben Bilderbuch-Lebensläufe für Kreative mit dieser Freistil-Denke und -Vorliebe. Sie arbeitet als Stylistin der Werbung und kennt auch aus ihrer Zeit in der Better-Days-Project-Bar in der Hopfenstraße eine Menge Leute hier, da und dort in den Szenen der Stadt. Er ist Fotograf und hat daneben im „BDP“ als DJ gearbeitet.

So einfach fing das an, damals. Man müsste doch mal und wer würde denn gern. Honorare können sie den Autorinnen und Autoren nicht zahlen. Der Schmerz darüber scheint sich in Grenzen zu halten, weil Unabhängigkeit Spaß macht. Redaktionssitzungen finden nach Bedarf in Wohnungen oder Cafés statt, und zu jedem fertigen Magazin gibt es eine Begrüßungsparty, damit sich der ganze freiwillige Stress auch in dieser Hinsicht gelohnt hat.

Die erste Ausgabe von „FALL“ ist aus der Idee eines Ausstellungskatalogs entstanden, der kunstaffine Anspruch des kleinen Blatts klingt im Subtext der Geschichten oft mit. Den typischen „FALL“-Leser gibt es deswegen auch nicht, Sympathisant kann ein Student ebenso sein wie der „alte hanseatische Kunstsammler“, erklärt Pape. „Der perfekte Leser ist jemand, der selbst etwas schafft, egal in welchem Bereich“, ergänzt Karlinskyy. Nummer eins erschien, ein schöner Zufall, an seinem Geburtstag, am 2. Oktober 2011, damals noch mit 5000 Exemplaren.

Zwei bis drei Ausgaben pro Jahr werden seitdem der Zielgruppe geboten, jede davon hat monatelange Vorläufe. Irgendwann steht die erste Idee für ein Stichwort im Raum. Darauf wird dann herumgegrübelt, bis sich alles zurechtruckelt. Für die Textlieferungen werden „die passenden Leute“ aus dem immer weiter wachsenden Bekannten- und Freundeskreis angesprochen. Keine wirklich großen Namen sind dabei, aber eben auch keine bemühten Amateure. Und am Ende entsteht das Heft „eruptiv“. Was ist es dann, und was eben nicht? „Es hat große Freude daran, Dinge zu erklären“, sagt Pape. Einen kleinen Teil dieser Aufgabe übernimmt auch die Internetseite des Magazins, vielleicht ein kleiner Trost, wenn die gedruckten Exemplare wieder mal vergriffen sind.

Das Um-die-Ecke-Denken hat in den vergangenen Ausgaben auch ohne Businessplan und langfristige Planung ganz gut geklappt. Mal ein Interview mit der Wolf-Tochter Marie Biermann oder ein Gespräch mit den Krach-Konfirmanden der Hamburger Indie-Band 1000 Robota. Eine Spezial-Ausgabe bestand aus einer Acht-Seiten-Geschichte aus Damaskus, eine Bekannte hatte sie geschrieben und fotografiert, wie das Leben dort so ist. „Sie durfte schreiben, was sie wollte.“ Objektivität und normalerer Journalismus aus einer Krisenregion ginge anders, aber darum ging es bei diesen Momentaufnahmen ja auch gar nicht.

Zum Leitmotiv „Schönheit“ gab es ein Doppelinterview mit einem Schönheits- und einem Wiederherstellungschirurgen. Und einen Text einer Magersüchtigen. Zu „Backstage“ erschien eine Hintergrund-Reportage aus den Slums von Mumbai. Für „Räume“ besuchte man einen türkischen Kulturverein und sah als Zaungast dem Gehirn einer „FALL“-Autorin einige Momente lang beim Nachdenken über das Denken zu. „Natürlich ist es nicht so, dass wir das Thema direkt angreifen“, beschreibt Karlinskyy diese Grundeinstellung. Vorbilder? „Ich glaube, eher nicht. Eher umgekehrt: Ganz fürchterlich wäre es, wenn wir Vorgaben bekämen.“

Für die nächste „FALL“-Ausgabe, die so um Herbst herum auslieferungsreif sein soll, ist bislang das Thema „Vorbilder“ in der engen Wahl. Ob es dabei bleibt, bleibt abzuwarten. Berechenbar sind schon genügend andere.

Infos und Artikel unter www.fall-magazin.com