TV-Moderator Cherno Jobatey dreht für seine Sendung „unterwegs mit…“ kleine Politiker-Begegnungen, privat ist er Rohkostfan. Und am liebsten trägt er Turnschuhe.

Berlin. Ob ich eine gute Salatbar kennen würde, will Cherno Jobatey am Telefon wissen, er esse nämlich gerne Salat, im Übrigen sei er ein „Müslimensch“. Ob er sich auch auf etwas weniger eindeutig Gesundheitsbewusstes einlasse? Er schlägt das „Einstein“ Unter den Linden vor, das reguläre Interview-Wohnzimmer Berlins. Ich bringe daraufhin einen Österreicher ins Spiel, der, wie ich beteuere, nach eigener glückvoller Erfahrung nur dann besucht werden sollte, wenn man den Kalorienbedarf mindestens der nächsten drei Tage auf einmal zu sich zu nehmen bereit sei. „Ja, machen wir das!“, sagt Jobatey fröhlich.

Dass wir dann doch gebeugt über Rucola-Salat (er) und gegrilltem Gemüse (ich) unser Tischgespräch führen, liegt an einem kurzfristig anberaumten Dreh, für den Jobatey früher weg muss. Also: das Ganze schnell vor- und umverlegen. Das „LuLa“ soll es sein, ein „süßes kleines Café“, wie er sagt, im Berliner Stadtteil Friedenau. Als Jobatey eintritt, trägt er die Alltags-Uniform des unauffälligen Kreativarbeiters: Jeans, schwarzes T-Shirt und natürlich Turnschuhe.

Er wirkt kaum müde und sagt auf die Frage nach seinem Befinden: „Fred Astaire hat ja mal gesagt: Das Schwerste ist, es leicht aussehen zu lassen“. Ich pflichte ihm da völlig bei, schließlich war das schon der Schlusssatz unseres letzten Interviews vor ungefähr zwölf Jahren. Er grinst. „Stimmt, und es ist wahrer denn je!“ Anlass war damals seine sehr erfolgreiche rbb-Talkshow. Das ZDF-Morgenmagazin moderiert Jobatey seit ein paar Monaten nicht mehr, aber er dreht für die Sendung wöchentlich kleine Politiker-Begegnungen („unterwegs mit...“). Er stellt täglich eine politische Presseschau zusammen (Jobateyjournal.de), und schon seit zwei Jahren gibt es die von E-Plus gesponserte „UdLDigital Talkshow“ („UdL“ für „Unter den Linden“, wo die Show aufgezeichnet wird), zu sehen auf YouTube.

Das Gedudel im „LuLa“ schraubt sich gleichmütig in die für Teilzeit-ADHS zuständigen Hirnwindungen. Sehr freundlich verweist die Bedienung darauf, dass sie die Musik weder ausschalten noch leiser machen könne, der Chef habe was dagegen, außerdem sei nicht nur der Gast König, vielmehr seien alle Gäste König, und ob wir nicht in den Nebenraum gehen wollten. Trägheit, Verzweiflung, Hunger: na gut.

In Amerika, kichert Jobatey, heiße Rucola „Rocket Salad, Raketensalat!“ – „Wegen der Verdaugeräusche?“, frage ich. Er lacht wie ein Schuljunge, darauf sei er noch gar nicht gekommen, und schon fühlt man sich witzig. Na ja, halbwegs witzig. So geht das, und so wird Jobatey seine Aufgabe beschreiben: „Du machst eine Welle, auf der andere surfen.“

Wer sich zum Beispiel die „UdL“-Ausgabe ansieht, in der es Philipp Rösler schafft, bei der hippen Start-Up-Crowd die Lacher auf seine Seite zu ziehen, der stellt fest: Die Wellenreiter tauchen plötzlich aus ungeahnten Ecken auf. Während des Talks über ein eventuelles neues deutsches Wirtschaftswunder erzittert Twitter geradezu von dramatischen Sympathie-Zuwächsen für den überraschend schlagfertigen FDP-Vorsitzenden. „Bei dieser Online-Talkshow haben wir erstaunlicherweise kein Problem, Gäste zu kriegen“, erklärt Jobatey. „Wir hatten schon einen Großteil des Kabinetts da.“

Das Leben nach dem Morgenmagazin scheint also kein Tal der Tränen zu sein. Warum er aufgehört hat, beantwortet er schnell: „Ich bin zwanzig Jahre lang morgens um halb vier aufgestanden, ich wollte nicht Herr der Ringe werden“. Für die „unterwegs mit“-Geschichten geht er sichtlich vergnügt in Göttingen Gemüse kaufen mit Thomas Oppermann. Mit Volker Kauder, „dem alten Rocker“, spielt er Kicker. Er joggt mit Sahra Wagenknecht. Anders als bei der „UdLDigital Talkshow“ sei der Überzeugungs- und Organisationsaufwand groß, man will ja nicht ständig das Gleiche zeigen. „Eine Komponente hätten wir bei jedem Porträt: Kaffee und joggen. Jeder joggt. Was früher einfach nur Fitness war, scheint heute anti-aging zu sein.“

Da sitzt er nun und schiebt die Champignons und den Parmesan auf die Seite. Schmeckt’s denn? „Ja“, sagt Cherno Jobatey und gabelt im Grün. „Aber eigentlich dachte ich, der Salat ist pur. Seit meinem Dreißigsten kann ich nicht mehr so viel essen. Als Schichtarbeiter kann ich mich entweder nur total ungesund ernähren oder total gesund, da gibt’s irgendwie nichts dazwischen.“

Wie das Zauberwort ja ohnehin die Verschlankung ist. Bei einem Journalistenaustausch bei Paramount in Hollywood habe ihn beeindruckt, sagt er, „mit welch einfachem Equipment die dort beim Fernsehen auskommen“. Für das Konzept der „UdLDigital Talkshow“ habe er auf diese Erinnerungen zurückgegriffen. Das Pure, das Einfache, das Schnelle: das gilt auch fürs Gespräch bei Tisch. Jobatey spricht lieber in Anekdoten und One-Linern als in abstrakten Begriffen. „Ich mag Talkshows. Du musst halt eine Labertasche sein.“ Wenn er eine Bühne sehe, „muss ich da rauf“. War das schon bei Klein-Cherno so? „Nein, meine Mutter war zwar Klavierlehrerin, ich bin bürgerlich erzogen, da war das nicht so gerne gesehen, so viel zu reden.“ Turnschuhe habe er auch nicht tragen dürfen, aus angeblichen gesundheitlichen Gründen. Man sieht ja, wohin das führen kann.

„Wenn ich König von Deutschland wäre“, hebt er an, „ich würde morgen bestimmen, dass jeder Turnschuhe tragen müsste. Ich glaube, dass wir dann ein besseres Land wären und die augenblickliche Krise um uns herum uns nie erreichen würde. Auch Europa täte das sehr, sehr gut.“ Damit jeder flexibler ist und schneller davonrennen kann? „Typische Journalistendenke. Nein, es geht um Antritt, ums Losmachen. Hast du ’nen Geistesblitz, willst du loslegen. Trägst du aber normale Schuhe, und seien es die legendären Budapester, dann musst du aufpassen, auf welchem Boden du dich bewegst. Könnte ich ausrutschen? Mit Turnschuhen denkst du daran nicht, alle Energie geht in die Sache.“

Ok, Turnschuhe sind politisch. Essen auch? „Klar. Alles ist Politik.“ Bevor Cherno, den alle gerne duzen, sich im wohlfeilen Aufruf zum bewussten Konsum verheddert, macht er nach beachtlichen Schweigesekunden klar, dass er als Öffentlich-Rechtlicher seine eigene politische Meinung nicht vor sich hertragen wolle. Nur so viel: „Politik ist nur das, wie etwas verstanden wird.“ Eben noch bei der YouTube-Recherche die perfekte Welle für Rösler, sagt er jetzt: „Wir hatten früher mal im Morgenmagazin-Café eine monothematische letzte halbe Stunde, da ging’s um die Vermögensabgabe. Im Publikum saß eine Schulklasse aus Hamburg, und die waren alle dagegen. Ich fragte, warum, und sie sagten: ,Das wird eh alles versoffen. Das geht alles nur zu Hartz IV, und Hartz IV ist der größte Posten im Haushalt, und deswegen wird alles nur versoffen’.“

Und dann? „Ich sage: Äh, das stimmt nicht. ,Doch, das haben wir gestern im Fernsehen gesehen.’ Dann haben wir versucht zu recherchieren, woher das kam, und das stimmte: In einem Filmbeitrag über eine Prekariatsfamilie hieß es: Diese Leute leben von Hartz IV, Hartz IV wiederum ist ein großer Posten bei Arbeit und Soziales, und Arbeit und Soziales ist ein großer Posten im Haushalt. Was aber hängen blieb, war: Hartz IV, größter Posten im Haushalt. Ich dachte mir, wenn bei denen das hängen bleibt, wie ist das dann bei anderen?“

Ist da längst eine unpolitische Masse herangewachsen? Oder hilft die Digitalität gegen Politikverdrossenheit? „Die Leute diskutieren sehr viele politische Dinge, aber sie nennen sie nicht Politik“, sagt Jobatey. „Die streiten sich etwa über Google, über Privatheit, unregulierte Netze, aber sie nennen es nicht Politik. Deshalb entstand ja auch bei mir die Idee, für jüngere Leute eine Talkshow zu machen, die nicht klassisch-politisch daherkommt, in der es aber nur um Politik geht“. Jetzt hätte er gerne eine heiße Schokolade, einmal in der Woche müsse das sein. Die Schokolade naht. „Die haben hier definitiv eine ganze Tafel reingepackt.“ Er rührt übertrieben in seiner Tasse, macht „hmmmm“, grinst und meint es ernst.