Noch bis 20. Juli wird in Hamburg das dänisch-deutsche Drama „Petit“ gedreht. Kim Basinger spielt die Hauptrolle

Hamburg. In Berlin wissen Klatschspaltenkonsumenten längst, in welchem stadtbekannten Schnitzeltempel George Clooney seinen Hunger stillt und wo die Großfamilie Jolie/Pitt Sushi ordert. In Hamburg dagegen reibt man sich die Augen, wenn eine blonde, mittelalte Frau mit Schlapphut und Sonnenbrille ins Fischereihafenrestaurant an der Elbe marschiert, King Prawns und Salat bestellt — und sich als US-Schauspielerin Kim Basinger entpuppt. Jawohl, Kim Basinger dreht in Hamburg. Nicht etwa einen halben Drehtag, während der Privatjet mit laufendem Motor wartet, dass die Klappe fällt. Sondern einen kompletten Kinofilm. Sechs Wochen, noch bis zum 20. Juli, steht sie täglich vor der Kamera.

„Petit“ heißt das Werk, das klingt wie eine französische Herzblattkomödie, in Wahrheit aber ein albtraumhaftes dänisch-deutsches Drama ist. Basinger ist mit einer Handschellenszene mit Mickey Rourke in „9 1/2 Wochen“ zum erotischen Mythos geworden, sie war im Cop-Film „L. A. Confidential“ eine angeschlagene Edelprostituierte, was ihr einen Oscar einbrachte, im Rapper-Biopic „8 Mile“ die alkoholkranke Mutter. Bei genauer Betrachtung sind es Figuren, die mit einem Bein über dem Abgrund baumeln, die Basingers Filmografie dominieren; sexy Glamourhäschen hat sie kaum gespielt. So betrachtet passt es, dass sie in „Petit“ als beruflich erfolgreiche, privat gescheiterte Unternehmerin Maria zu sehen ist, die einer jungen Prostituierten ein Baby abkaufen will.

Basinger habe trotz des geringen Budgets des Films ohne Zögern zugesagt, sagt Co-Produzentin Maria Köpf, die von deutscher Seite (zusammen mit zwei dänischen Produzentinnen) für das Projekt mit ihrer Firma Zentropa Entertainments verantwortlich ist. In der Tat ist „Petit“ eine Low-Budget-Produktion, die nicht viel mehr kostet als ein durchschnittliches deutsches Fernsehspiel. Also rund 1,5 Millionen Euro. Möglich sind die verhältnismäßig geringen Kosten, weil das Team klein, die Kosten für die Ausstattung überschaubar sind. Oft würden Locations vor Ort genutzt, etwa Straßenkreuzungen oder Tankstellen, sagt Köpf.

Gedreht wird in der HafenCity (der Firmensitz von Marias Konzern), in den Autohöfen von Georgswerder und in Pinneberg. Auch das Hotel Atlantic und das Marienkrankenhaus sollen bespielt werden. Die Autobahnkreuze in Altenwerder sind der Knotenpunkt für den Beginn des Roadmovies, das sich bis an die deutsch-tschechische Grenze zieht. Viele Außenaufnahmen werden außerdem in Schleswig-Holstein gedreht. Insgesamt soll der Look des Films wenig pittoresk und postkartenhübsch sein, dafür ganz unterschiedliche Seiten der Stadt beleuchten. Wohl auch weil der Film so stark in Hamburg verwurzelt ist, unterstützt die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein „Petit“ mit rund 200.000 Euro, auch das ZDF und Arte beteiligen sich an den Kosten.

Regie führt der Däne Anders Morgenthaler, der auch das Drehbuch schrieb. In Hamburg kurbelt vor allem der Austausch mit Schweden und Dänemark internationale Projekte an, die auf dem Filmmarkt immer mehr an Bedeutung gewinnen. „Vor allem die skandinavischen Länder interessieren sich immer mehr für die norddeutsche Region“, sagt Filmförderungschefin Eva Hubert. Regisseur Morgenthaler sei von Hamburgs „enormer Vielfältigkeit sehr angetan gewesen“, betont auch CoProduzentin Köpf. Bereits im Spätsommer soll der nächste deutsch-skandinavische Film in Hamburg gedreht werden: der Krimi „Schändung“ nach der Romanvorlage von Jussi Adler Olsen, dem Dauergast in den Bestsellerlisten.

Aber nicht nur Kreative aus Dänemark und Schweden, auch US-Stars sind seit einigen Monaten häufiger in Hamburg unterwegs. Für den Spionagethriller „Marionetten – A Most Wanted Man“ standen im November vergangenen Jahres Philipp Seymour Hoffmann und Rachel McAdams vor der Kamera, wenige Monate zuvor rückte die Independent-Ikone Jim Jarmusch an, im Schlepptau hatte er seine Hauptdarstellerin Tilda Swinton. Rund die Hälfte der Fördersumme, die die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein jährlich ausgibt, fließt mittlerweile in internationale Produktionen. Ohne sie ist die deutsche Filmlandschaft kaum noch vorstellbar. Mit Co-Produktionen lässt sich manch eine Finanzierungslücke schließen; die grenzübergreifende Zusammenarbeit ermöglicht ein ganz anderes künstlerisches Potenzial.

„Wir sind sehr daran interessiert, dass der kreative Part zu großen Teil aus der Region heraus bestückt wird“, sagt Eva Hubert. „Petit“ arbeitet mit Locationscouts, Aufnahmeleitern und Setmitarbeitern aus Hamburg, eine Handvoll deutscher Schauspieler gehört zum Cast, darunter Bühnenliebling Sophie Rois, „Nachtschicht“-Fernsehkommissar Armin Rohde und Sebastian Schipper, der im NDR-„Tatort“ den bärtigen Ex-Partner von Wotan Wilke Möhring gibt. Von Basinger abgesehen sind die Schauspieler größtenteils dänisch, der Kameramann ist Norweger, die Setsprache englisch. Voraussichtlich 2014 soll das fertige Werk ins Kino kommen.

Es gibt bereits jetzt gute Gründe, sich „Petit“ anzusehen. Da ist Kim Basinger, die in ihrer Karriere immer wieder Rollen gespielt hat, die den Zuschauer mit offener Kinnlade zurückließen. Da ist ein Plot, der wie ein Horrortrip klingt und irgendwie auch zutiefst menschlich. „Der Film arbeitet mit großen Spannungselementen, zeigt Momente der Intimität und auch der Gewalt. Es wird ein sehr besonderer Film, der sicherlich eher an Genrefilmen orientiert ist als an einem Sozialdrama“, beschreibt Co-Produzentin Köpf das Konzept. Nicht zuletzt wird „Petit“ ein ungewöhnlicher Hamburg-Film werden, so viel steht fest.