Im Sprechwerk hat Jessica Nupens Stück „Afridyssey“ Premiere

Sprechwerk. Sie erinnert sich noch genau, wie sie zu Hause in Johannesburg vor dem Fernseher saß und die Bilder der Wahl verfolgte. „Ich war zwar sehr jung, aber bei uns ging es den ganzen Tag und auch beim Abendessen um Politik“, erzählt Jessica Nupen. Ihre Mutter ist Politikwissenschaftlerin, ihr Vater Rechtsanwalt. Er gehörte schon zu den Unterstützern des African National Congress, als der zu Zeiten der Apartheid in Südafrika noch verboten war, also ehe der ANC 1994 dann mit Nelson Mandela den ersten frei gewählten Präsidenten stellte. Damals war Jessica Nupen acht Jahre alt. Und ihr Land, vielmehr der gesamte afrikanische Kontinent, lässt die Künstlerin, die schon seit ihrem dritten Lebensjahr tanzt, bis heute nicht los.

Seit fünf Jahren wohnt die Tänzerin und Choreografin in Hamburg. Damit ist sie eine von etwa 25.000 Frauen und Männern aus Afrika in der Hansestadt. Zahlreiche afrikanische Gemeinschaften leben oft innerhalb der deutschen Nachbarschaft in einer eigenen Welt. Ob aus Ghana, das mit etwa 6000 Staatsbürgern in Hamburg die größte afrikanische Community bildet, aus Togo, Südafrika oder Sierra Leone — sie verkörpern jeweils ein Lebensgefühl. Was aber hat sie nach Deutschland verschlagen, wollte Jessica Nupen wissen und versucht das in einem Tanztheaterstück auszudrücken.

„Afridyssey“, das an diesem Dienstag im Sprechwerk in Borgfelde Premiere hat, wendet sich auch an Deutsche und Europäer. „Wichtig war mir, dass im Stück ein Afrikabezug zu erkennen ist“, gewährt die Choreografin Einblicke in ihre Premierenproduktion. Gleichzeitig sei das Stück eine Reise mit Herausforderung, erklärt Nupen den zweiten Teil des Titels, abgeleitet vom Begriff „Odyssee“.

Die Idee für ihr Projekt hatte sie vor drei Jahren, im letzten halben hat sie es umgesetzt — auf eigene Kosten. Fürs Vortanzen hatte sie kein Geld; auf Kampnagel, wo sie auch angefragt hatte, stieß sie auf taube Ohren.

„Es war mir egal, dass ich keine Förderung bekomme“, sagt Nupen. „Ich hatte das Gefühl, das Stück muss gemacht werden.“ Mit William Kentridge, Jack und Jill Gerber sowie Leslie Maasdorp hat sie in Südafrika Förderer für „Afridyssey“ gefunden, mit dem Komponisten Philipp Miller und dem Fotografen Jürgen Schadeberg hier weitere Unterstützer. Dadurch können sechs Tänzer und ein Techniker bezahlt werden, sagt Nupen, die selbst unentgeltlich mitwirkt. Wichtig war ihr, dass mit Yarica von der Osten auch eine Deutsche mittanzt. Bathembu Myira hat sie erst in Hamburg kennengelernt, obwohl der schon in Johannesburg getanzt hat. „Ich komme aus dem Norden Südafrikas, er aus Kapstadt im Süden, aber es gab sofort eine Verbindung“, erzählt Jessica Nupen.

Diese Verbindung sieht sie keineswegs auf ihr Heimatland beschränkt. Menschen aus Afrika seien generell offener. „Wenn man auf der Straße geht, grüßt man sich auch auf der anderen Straßenseite, obwohl man den Menschen gar nicht kennt“, nennt die Künstlerin ein profanes Beispiel.

In Vorbereitung für ihre Produktion hat sie auch in Hamburger Flüchtlingslagern recherchiert, hat mit Menschen gekocht, zu Abend gegessen und geredet. Weil ein Mann aus Togo kein Englisch sprach, sie allerdings auch kein Französisch, haben sie sich auf Deutsch unterhalten. Den Togolesen Xaminou, der seit neun Jahren in Deutschland ist und den Jessica Nupen als Hausmeister bei der Stage Entertainment kennengelernt hat, lässt sie in „Afridyssey“ ebenso per Videoinstallation zu Wort kommen wie Ithumaleng. Der Südafrikaner lebt schon seit 30 Jahren hier. „Man kann als Arzt oder Geschäftsmann nach Deutschland kommen, aber für viele Leute bleibt man oft ein Asylant“, sagt er.

Ob dieser Aussagen soll aus dem Tanztheater eine Geschichte mit Reportagecharakter werden, eine Reise ins Mini-Afrika. In dessen Herz wird zu Anfang ein Stammeskrieger geboren, doch in den Städten herrschen Ungleichheit und Chaos, auf Kolonialismus folgt oft Diktatur. Danach Flucht, in Deutschland dann Konfusion, Ablehnung bis hin zu Ausländerfeindlichkeit. Die Herausforderung für die Afrikaner sei der Kompromiss zwischen Integration und Anpassung einerseits und der Wahrung des kulturellen Erbes andererseits. Jessica Nupen möchte das mit ihren Kollegen tänzerisch ausdrücken, kann es aber auch in Worten: „Ich bin blond, habe blaue Augen und sehe deutsch aus, aber in meinem Herzen bin ich Afrikanerin.“

Für die Premierenparty hat sie sogar eine offizielle Stelle gewinnen können: Die Botschaft der Republik Südafrika sponsert das Fest nach dem Tanz.

„Afridyssey“ Premiere Di 25.6. (ausverkauft), auch Mi 26./Do 27.6., jew. 20.00, Sprechwerk (U/S Berliner Tor), Klaus-Groth-Straße 23, Karten zu 11,70 bis 19,40 unter T. 0180/504 03 30; www.hamburgersprechwerk.de