Die Autorin Rosa Hassan musste aus ihrer Heimat fliehen und ist Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte

Hamburg. Rosa Yassin Hassan hat Architektur an der Universität von Damaskus studiert. Aber von Beruf ist sie Schriftstellerin. Fünf Romane und Bände von Kurzgeschichten hat sie veröffentlicht – zuletzt erschien in diesem Jahr auf Deutsch „Wächter der Lüfte“ im Alawi Verlag, in dem es um Menschen und Familien geht, die durch Verfolgung gebrochen werden. Rosa Hassan wurde mehrfach ausgezeichnet, 2010 erhielt sie den Literaturpreis von Beirut. Sie wird in ihrer Heimat nicht nur wegen ihrer literarischen Texte, sondern vor allem wegen ihres Engagements für Menschenrechte und die Demokratiebewegung bedroht. Lange Zeit hat sie, auch in deutschen Medien, über den Alltag der Menschen im bürgerkriegsgeschüttelten Syrien berichtet, über schwer traumatisierte Kinder, über Gräuel, Angst und Tod.

Sie wurde zur schonungslosen Chronistin der Verbrechen des Assad-Regimes und auch der bewaffneten Opposition, lieferte erschreckende Einsichten in den Kriegsalltag der unbeteiligten Zivilbevölkerung. Wegen dieser Texte geriet sie schnell ins Visier regierungsnaher Kreise. „Ich habe die drei Tabus der arabischen Welt verletzt: Politik, Religion, Sexualität“, sagt sie. Ende 2012 konnte die akut gefährdete Autorin aus dem umkämpften Damaskus mit ihrem Mann und dem zehnjährigen Sohn nach Deutschland fliehen. Seit März lebt die Autorin für neun Monate als Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte in der Hansestadt. Wir sprachen mit ihr über ihre Eindrücke. Ihr Mann serviert arabischen Kaffee und Gebäck.

Hamburger Abendblatt:

Sie sind erst seit Kurzem in Deutschland. Was fällt Ihnen hier auf?

Rosa Hassan:

Als Erstes ist mir aufgefallen, dass man in Syrien eine Vorstellung von Europa und Deutschland hat, die überhaupt nicht stimmt. Uns wird beigebracht, die Deutschen seien streng, arrogant gegenüber Menschen aus anderen Kulturen. Die Gesellschaft, so erzählt man uns, sei hier verkommen und völlig zerfallen. Ich habe genau das Gegenteil festgestellt. Ich bin hier mit mehr Gastfreundschaft als in meinem eigenen Land empfangen worden. Strenge entdecke ich überhaupt nicht. Und schon gar keinen Verfall der Moral. Bei uns, in der arabischen Gesellschaft gibt es einen Moralverfall, er ist allerdings unsichtbar. Ich habe noch etwas festgestellt, man weiß hier sehr wenig über uns.

Woran liegt das? Ihr Land setzt sich aus vielen Bevölkerungsgruppen und Religionen zusammen, welche Probleme sind derzeit am größten?

Hassan:

Die syrische Gesellschaft ist sehr vielfältig zusammengesetzt. Sie ist ursprünglich religiös und politisch zersplittert. Früher war es eine große Stärke unseres Landes, dass alle Bewohner sich als Syrer gefühlt haben. Jetzt ist das anders. Hafis Assad ist in den 70er-Jahren durch einen Militärputsch an die Macht gekommen. Seitdem sind alle politischen Kräfte im Land entmachtet worden, es gibt keine freie Presse, die Parteien und Nationalgesellschaften wurden geschwächt. Die Gefängnisse waren voller Menschen, die sich dagegen gewehrt haben, Muslimbrüder, Linke, Nationalisten. Die Macht war in der Hand einer sehr kleinen Clique. Alle Menschen, die seit den 70er-Jahren geboren sind, kennen nichts anderes. Das Land ist zersplittert. Irgendwann ist das explodiert, die Revolution hat sich aus vielen Quellen gespeist.

Woher bekommt man in Syrien zuverlässige Informationen?

Rosa Hassan:

Hier und dort sickert etwas durch. Es gab Flüchtlinge oder Inhaftierte, die von Menschenrechtlern unterstützt wurden. Von ihnen hat man Informationen bekommen.

Was ist derzeit die größte Gefahr?

Hassan:

Viele haben nur noch eine gefestigte Beziehung zu ihrem Stamm oder zu ihrer Religion, es gibt keine gesamtsyrische Identität mehr, keine politische Identität. Die größte Gefahr ist, dass diese Minderheiten stärker werden, ein politischer Zerfall stattfindet und es Bürgerkrieg gibt. So bricht das Land auseinander. Das war wohl auch das Ziel der Regierung, dass die Minderheiten einander bekämpfen.

Was muss jetzt passieren?

Hassan:

Nach fast zweieinhalb Jahren, in denen gekämpft wurde, ist es beinahe unmöglich eine Lösung zu finden. Die Hauptsache ist, dass die Regierung verschwindet und die Kämpfe aufhören. Es sollte eine politische Lösung geben, bei der eine Übergangsregierung gebildet wird. Wenn es weitergeht wie bisher, wird die syrische Bevölkerung völlig zersprengt.

Ihre Schwester lebt noch in Damaskus, was hören Sie von dort?

Hassan:

Es wird täglich gewalttätiger. Menschen werden abgeschlachtet, es finden Massaker statt. Die Regierung schickt Leute, die Menschen mit Messern aufschlitzen oder mit Pistolen abknallen. Unschuldige werden ermordet. Die Situation wird täglich schlimmer. Es gibt immer mehr Flüchtlinge.

Könnten Sie zurück nach Syrien?

Hassan:

Nein. Sie suchen dort nach mir.

Wann haben Sie das bemerkt?

Hassan:

Alle Oppositionellen in Syrien sind bedroht. Sicherheitsbeamte kommen zur Tür und kontrollieren, ob man zu Hause ist. Sie befragen Freunde und Bekannte. Das erfährt man.

Wie sehr waren Sie in Ihrer Arbeit eingeschränkt?

Hassan:

Ich schreibe schon seit Langem Texte, die der Regierung ein Dorn im Auge sind. Was ich über Politik, Religion und Sexualität geschrieben habe, ist ihnen zu frei. 2006 habe ich Reiseverbot bekommen. Ich bin jahrelang von Sicherheitsbeamten befragt worden. Ich habe versucht, möglichst wenig über meine Situation nachzudenken.

Der Markt für Literatur ist in arabischen Ländern begrenzt. Können Sie vom Schreiben leben?

Hassan:

Nein. Die Auflagen sind winzig. 4000 Stück sind eine hohe Auflage bei uns. Als arabischer Schriftsteller ist man immer arm. Es sei denn, man ist sehr berühmt. Wer Schriftsteller ist, hat einen Nebenjob, ist Journalist oder Lehrer, um überleben zu können.

Wer sind Ihre literarischen Vorbilder, was haben Sie gerne gelesen?

Hassan:

Mein Vater war auch Schriftsteller. Mit vielen Nebenjobs. Ich bin zwischen Büchern aufgewachsen. Ich habe als Kind immer Bücher statt Geschenke bekommen, und ich war glücklich darüber. Meine Seele ist voll mit Literatur, mit Namen großer Schriftsteller, die mich beeindruckt haben, beispielsweise der lateinamerikanischen und der japanischen Literatur, aber auch der europäischen. Aber mein Freundeskreis setzt sich nicht nur aus Literaten zusammen. Als Schriftstellerin interessiere ich mich für viele Menschen, ich möchte sie beobachten, wissen, wie sie denken.

Sie haben Architektur studiert, haben Sie sich in Hamburg schon die HafenCity angeschaut?

Hassan:

Ich finde sie sehr schön. Ich stamme ursprünglich auch aus einer Hafenstadt, liebe das Wasser.

Wie sieht Ihr Alltag hier aus?

Hassan:

Ich schreibe jeden Tag, lese jeden Tag. Mein Sohn geht hier in die Schule und hat sehr schnell Deutsch gelernt. Er kommt jetzt von der vierten Klasse ins Gymnasium. Es ist sehr gut für ihn, dass er hier zur Schule gehen darf. Die Kinder haben bei uns Schlimmes erlebt, er hat hier eine viel bessere Zukunft. Als mein Sohn hier den ersten Tag in die Schule ging, habe ich ihn hingebracht und danach die ganze Zeit geweint, als ich wieder zu Hause war. Bis er zurückkam. Ich habe über meine Kindheit geweint, darüber, dass wir in Syrien nicht in eine solche Schule gehen konnten. Bei uns waren die Schulen Militärlager, man wird dort geschlagen, die Kinder dürfen nicht miteinander sprechen. Mein Sohn war gleich sehr glücklich hier.

Was fällt Ihnen nach ein paar Wochen in Hamburg auf?

Hassan:

Der Klang der Sprache ist sehr melodisch. Ich versuche gerade, Deutsch zu lernen (lacht), aber die Aussprache ist hart. Das Erscheinungsbild auf der Straße gefällt mir und natürlich dass hier wirklich überall Freiheit herrscht. Man legt in Hamburg sehr viel Wert darauf, die Natur zu pflegen. Das Interesse an der Literatur ist hier sehr groß, so etwas kenne ich aus den arabischen Ländern nicht. Man geht hier zu Lesungen, die deutschen Leser sind wirklich an den Schriftstellern interessiert. Man kommt sehr eng zusammen. Aber ich bin immer noch nicht wirklich hier angekommen. All meine Gedanken sind in Syrien. Sollte die Lage sich dort verbessern, würde ich die Schönheit Deutschlands noch intensiver spüren. Ich schreibe ja auch wieder an einem Roman, er spielt in Syrien 2011/2012. Es geht um die Menschen, ihre Schmerzen, ihre Freude.

Es heißt, die Leser mögen nichts von Leid und Tod hören. Sollte ein Roman ausgewogen zwischen Freud und Leid sein?

Hassan:

Das Wichtigste ist: Das Gelesene sollte Spuren beim Leser hinterlassen. Er sollte etwas erkennen, das er vorher nicht wusste.