Die Dokumention „Lohnsklaven in Deutschland“ deckt Arbeitsbedingungen von Leiharbeitern in der Fleischindustrie auf. Es ist ein dubioses, schwer zu durchschauendes Netz aus Vermittlerfirmen und Subunternehmen.

Gut möglich, dass mancher Kunde im Supermarkt künftig zweimal hinschaut, bevor ein in Plastik verschweißtes Wurstpaket im Einkaufswagen landet. Denn was die NDR-Autoren Marius Meyer und Michael Nieberg in ihrer 45-minütigen Reportage, die heute Abend im Ersten zu sehen ist, ans Licht gezerrt haben, schlägt dem Verbraucher ordentlich auf den Magen. „Lohnsklaven für Deutschland“ zeigt, unter welchen unmenschlichen Bedingungen Billiglöhner aus Osteuropa zur Arbeit in der Fleischindustrie gedrängt werden, damit deutsche Unternehmen Profit steigern und Käufer mit Sonderangeboten ködern können. Man kann auch sagen: Sie liefern die Vorgeschichte der Hähnchenschenkel für 2,99 pro Kilo.

Die spielt zum Beispiel im beschaulichen Oldenburger Münsterland. Wer es hier zu etwas gebracht hat, residiert in einer großzügigen Allee, in der sich Villa an Villa schmiegt. Was sich vor der Kamera weniger gut macht, ist die Parallelwelt in dieser Gegend. Eine Art Geisterstadt aus Bruchbuden, Campingplätzen und Kasernenlager, in denen Menschen hinter Stacheldrahtzäunen wie Gefangene gehalten werden. Kaum verwunderlich, dass dem NDR-Kamerateam der Zutritt verwehrt wurde. Hier lebt man nicht, hier harrt man seines Schicksals. Und das sieht für die Leiharbeiter in den Schlachthöfen, die überwiegend aus Rumänien und Polen nach Deutschland gekommen sind und nun für die Firmengruppe Wiesenhof am Fließband stehen, einen Stundenlohn von rund fünf Euro brutto vor. Arbeitszeiten, die drei Stunden Schlaf pro Nacht zulassen. Und Fünfbettzimmer von der Größe einer Abstellkammer. Krankenversicherung, Arbeitsverträge, Kündigungsschutz? Davon können die Menschen hier nur träumen. Die meisten von ihnen bleiben, weil ein letztes Fünkchen Hoffnung auf ein neues Leben in einem neuen Land in ihnen glimmt. Aber so viel steht nach 45 informativen und desillusionierenden Fernsehminuten fest: Hier wartet Ausbeutung, kein Neuanfang.

Es ist ein dubioses, schwer zu durchschauendes Netz aus Vermittlerfirmen und Subunternehmen, die es den Schattenbaronen der Fleischindustrie möglich machen, ihre Waren zu gesundheitsgefährdenden Bedingungen zu produzieren. Und ein Klima der Angst, das so weit greift, dass jeder im näheren Umkreis die Augen verschließt vor den Buslandungen von Menschen, die stumm ihren Dienst tun, von den Vorarbeitern wie Leibeigene behandelt werden. Keine Ahnung, kein Kommentar. Das hören die NDR-Journalisten von Vermietern und Pförtnern, von Einwohnern und Stadtmitarbeitern. Manchmal auch in weniger höflicher Formulierung. Umso verdienstvoller, dass sie sich nicht haben abwimmeln lassen. Sie haben mit Leiharbeitern gesprochen, die sich ihnen schließlich anvertraut haben. Sind bis an die Costa Brava gereist, wo eine Briefkastenfirma ihren Sitz sowie eine Geschäftsführerin hat, die man eher in einer Dessousboutique vermuten würde.

Bei aller Tragik erinnert das Ganze eher an die Mafiastrukturen des Soprano-Clans als an Zustände, wie man sie auf dem deutschen Fleischmarkt vermuten würde. Da berichtet Maria, eine Rumänin mittleren Alters, von den Praktiken ihrer Arbeitgeber, als sie in ihrer Verzweiflung einmal drohte, sich an einen Anwalt zu wenden. „Überleg dir das gut. Könnte ja sein, dass du auf der Straße überfahren wirst“, lautete die kaum verschleierte Drohung der Gegenseite. Marias Gesicht ist in der Dokumentation unkenntlich gemacht. Keiner der Leiharbeiter wollte erkannt werden. Auch keine der betroffenen Firmen wollte sich vor der Kamera äußern, alle bestritten jedoch schriftlich sämtliche Vorwürfe, schalteten Anwälte ein, um Interviews bereits vor der Ausstrahlung zu verhindern. Wie die NDR-Recherchen ergaben, ermittelt die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft bereits gegen Dienstleistungsfirmen auf dem deutschen Fleischmarkt. Besonders im Visier der Fahnder sind dabei treibende Geschäftemacher in der Region Duisburg, Moers und Kamp-Lintfort, die illegal angeworbene Arbeiter an Schlachthöfe in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz als sogenannte Werkvertragsmitarbeiter vermitteln. Der Verdacht der Ermittler: Dieses Firmengeflecht habe jahrelang Steuern und Sozialabgaben in großem Umfang hinterzogen.

„Lohnsklaven für Deutschland“ ist ein aufrüttelnder Film. Wer ihn gesehen hat, isst am Abend ein Käsebrot.

„Lohnsklaven in Deutschland“ Mo 24.6., 22.45 Uhr, ARD