Das Erste widmet sich an diesem Mittwoch im Spielfilm „So wie du bist“ erfrischend und ehrlich dem Thema Down-Syndrom

Hamburg. „Frau am Steuer, Ungeheuer.“ Wohl kaum jemand kann solch einen Satz mit so wenig Bosheit und so viel Herzenswärme sagen wie die 20-jährige Michelina (Juliana Götze). Gerade hat Richterin Helene (Gisela Schneeberger) nach ihrer Pensionsfeier und einigen Schlucken Sekt den Wagen gerammt, den Michelinas Vater fuhr. Der liegt deshalb im Koma. Doch statt die Unfallverursacherin im Krankenhaus anzuherrschen, umarmt die junge Frau die fremde Dame. Denn Michelina denkt, dass ihr Vater sich nur ein wenig ausruht. Sie hat das Down-Syndrom. In ihrer Welt herrschen andere Maßstäbe. Und doch scheinen ihre Gedanken, Gefühle und Aktionen oftmals wahrhaftiger als die vermeintlichen Werte in unserem auf Effizienz und Erfolg getrimmten Alltag.

Was ist schon normal? Dieser Frage geht der Film „So wie du bist“ auf erfrischende Art nach. Die Koproduktion der Sender ORF und MDR eröffnet an diesem Mittwoch im Ersten einen Abend zum Thema Trisomie 21. Und die Tragikomödie von Regisseur Wolfgang Murnberger und Drehbuchautor Ulli Brée ist nicht umsonst mit dem österreichischen Fernsehpreis der Erwachsenenbildung (vergleichbar mit dem Grimme-Preis) ausgezeichnet worden. Denn die Filmemacher nehmen ihre Protagonisten ernst. Sie brechen mit der weitverbreiteten Vorstellung, dass alle Menschen mit Down-Syndrom auf ewig Kinder bleiben.

Der schöne Lerneffekt für den Zuschauer besteht darin, dass er mit den Augen der – anfangs sehr spaßbefreiten – Richterin in Michelinas Leben eintaucht. Helene hat 40 Jahre diszipliniert gearbeitet und darüber Ehe sowie Sohn aufgegeben. Ihren Ruhestand möchte sie mit einem lukrativen Aufsichtsratsposten aufpolstern, zudem soll sie das Silberne Ehrenzeichen der Stadt Wien erhalten. Da passt ihr die negative Presse zu ihrem Unfall natürlich ganz und gar nicht. Ein Freund rät ihr, ihr Image „mit dem behinderten Kind“ aufzupolieren. Michelinas Betreuer riecht den Braten, braucht aber tatsächlich jemanden, der sich an den Wochenenden um Michelina kümmert. Und wie sich die beiden sehr unterschiedlichen Frauen kennenlernen und annähern, ist wirklich sehr witzig und auch berührend geraten.

„Bist du behindert?“, fragt Michelina ihre neue Freundin, während die an den Tasten des Fahrkartenautomaten verzweifelt. „Wieso?“, will Helene wissen. „Na, weil du nicht schnell genug bist, um das Ticket zu lösen“, entgegnet Michelina und grinst. Es sind kleine, charmante Situationen wie diese, die die Verhältnisse spielerisch umdrehen. Ebenso verdutzt ist Helene, dass Michelina einen Freund hat. „Wieso, du etwa nicht?“ Michelina ist fassungslos, dass ihre „Frau Ungeheuer“, wie sie sie liebevoll nennt, „niemanden zum Schmusen“ hat. Flugs schmeißt die junge Frau mit ihrer Werkstatt-Gruppe Geld und Bonbons zusammen, um der einsamen Dame einen Hamster namens George Clooney schenken zu können.

Natürlich trägt „So wie du bist“ wie jeder Film mit Feel-Good-Vibe und Happy End auch märchenhafte Züge. So legt Helene zusehends ihre „emotionale Behinderung“ ab, die ihr der Betreuer so treffend zugeschrieben hat. Aber die Geschichte ist keine bloße soziale Utopie, sondern verhandelt realistisch Probleme, aber auch Perspektiven. Neben den poetischen und bewegenden Momenten gibt es ebenfalls zutiefst ehrliche. Etwa, wenn der aus dem Koma erwachte Vater später über die Geburt seiner Tochter sagt: „Gewünscht haben wir sie uns nicht.“ Und auch die Rechte von Menschen mit Down-Syndrom treten verstärkt in den Fokus, ohne dass die Story moralinsauer oder kitschig zu werden droht. Als Michelina ihren Sebastian (Sebastian Urbanski) heiraten will, geht Juristin Helene bis zum Bischof, um für diese Ehe zu kämpfen.

Neben dem wunderbar lakonischen Spiel der bayerischen Schauspielerin und Kabarettistin Gisela Schneeberger, die mit ihrem grundsympathischen Witz noch die mauesten Filme veredelt, sind es vor allem die beiden Berliner Hauptdarsteller Juliana Götze und Sebastian Urbanski, die ihre Figuren äußerst facettenreich und nahbar verkörpern. Urbanski ist auch einer von sechs jungen Leuten mit Down-Syndrom, die der Moderator Kai Pflaume („Nur die Liebe zählt“) in seiner Sendung „Zeig mir deine Welt“ besucht. „Lebensfreude in vier Teilen“ hat Das Erste diesen Mix aus Dokumentation, Reportage und Gesprächen untertitelt. Die ersten 30 Minuten sind direkt nach dem Spielfilm an diesem Mittwoch zu sehen, während die weiteren drei Episoden an den folgenden Tagen früh abends in der ARD gezeigt werden (Donnerstag, 18.50 Uhr; Freitag, 18.50 Uhr; Sonnabend, 18 Uhr).

Jenseits von Voyeurismus oder Betroffenheitsgedusel verbringt der 46-jährige Moderator einfach Zeit mit seinen Protagonisten, begleitet sie zum Friseur oder zum Training ins Fitnessstudio, spricht mit ihnen über Familie, Freunde und Liebe. Und ganz nebenbei ist in „Zeig mir deine Welt“ ein Mensch zu erleben, der offen dafür ist, sich verblüffen zu lassen.

„So wie du bist“ Mi 19.6., 20.15 Uhr, ARD; „Zeig mir deine Welt“ Mi 19.6., 21.45 Uhr, ARD