Auf dem Jahreskongress von Netzwerk Recherche in Hamburg ging es um Offshore Leaks, Online-Bezahlmodelle und Informationspolitik

Hamburg. Der Jahreskongress der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche auf dem NDR-Gelände in Lokstedt ist mit seinen über 600 Besuchern sowie gut 200 Referenten so etwas wie ein großes Klassentreffen, auf dem die Branche innehält, um Bilanz zu ziehen und nach Trends Ausschau zu halten. Mitunter werden hier aber auch handfeste Nachrichten produziert. So verkündete am Sonnabend der Vorsitzende des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) Gerard Ryle, dass die Datensätze über Steueroasen, deren Auswertung unter dem Stichwort Offshore Leaks durch Medien rund um den Globus im April für Aufsehen gesorgt hatten, ab sofort im Internet stehen. Sie enthalten Namen von über 100.000 Personen und Organisationen. In Deutschland hatten die „SZ“ und der NDR etwa herausgefunden, dass der Milliardär Gunter Sachs sein Vermögen in Steueroasen parkte.

Von der Veröffentlichung der Datensätze im Internet verspricht sich ICIJ-Chef Ryle weitere Aufklärung. Denn in ihnen finden sich auch Namen, die bisher nicht zugeordnet werden konnten. Dieses Vorgehen ist aber nicht unumstritten. Auf einer Podiumsdiskussion sagte der „SZ“-Redakteur Bastian Obermayer, der damals die Dateien auswertete, er hätte sich an Ryles Stelle dagegen entschieden, die Datensätze online zu stellen. Denn gerade weil sie Namen von Personen und Organisationen enthielten, bei denen nicht zweifelsfrei geklärt sei, ob sie tatsächlich Geld in Steueroasen parkten, sei dieses Vorgehen problematisch.

Zur Sprache kam auch der Vorwurf, dem ICIJ seien die Daten von Regierungen und Geheimdiensten zugespielt worden. Doch laut dem Hamburger Datenjournalisten Sebastian Mondial, der die deutschen Kooperationspartner des ICIJ aussuchte, ist dieser Vorwurf leicht zu entkräften. Die Datensätze seien ursprünglich in einem sehr chaotischen Zustand gewesen. Dieser Umstand spreche gegen staatliche Stellen als Quelle. Auf die Frage, warum er „SZ“ und NDR, nicht aber dem „Spiegel“ die Daten zur Verfügung gestellt hatte, sagte Mondial: „Ich habe mich nicht getraut, den damaligen ,Spiegel‘-Chefredakteur Georg Mascolo anzurufen.“

Mascolo selbst war beim Branchentreffen auch zugegen – wenn auch nicht bei dieser Diskussionsrunde. Er trat als Laudator bei der Verleihung des Negativpreises „Verschlossene Auster“ auf. Der ging in diesem Jahr an Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Sein Haus hatte sich geweigert, dem „Bild“-Journalisten Hans-Wilhelm Saure die Namen der Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes mit nationalsozialistischer Vergangenheit zu nennen, die zwischen 1950 und 1980 für den Dienst gearbeitet hatten. Saure musste vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen, das entschied, prinzipiell sei das Ministerium verpflichtet, die Namen herauszurücken. In einem anderen Fall wollte Friedrichs Haus der „WAZ“ die Medaillenvorgaben für die deutschen Sportler bei den Olympischen Spielen nicht verraten. Auch die „WAZ“ musste klagen, bevor sie die gewünschten Informationen bekam. Für die stellte das Ministerium dem Blatt dann aber einen Betrag von knapp 15.000 Euro in Rechnung.

Das Bundesinnenministerium hatte davon abgesehen, einen Vertreter zur Verleihung zu schicken. Es ging aber auch ohne Ministeriale: Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Absetzung als „Spiegel“-Chef forderte Mascolo die Kollegen auf, die Möglichkeiten, die ihnen das Informationsfreiheitsgesetz bietet, besser zu nutzen. Es verpflichtet Behörden zur Herausgabe von Informationen, die von öffentlichem Interesse sind. Eine Mahnung ging an den gastgebenden NDR. Er ermunterte ihn, die Vergütungen, die sein Intendant als Aufsichtsratsmitglied von Sendertöchtern bezieht, ebenso zu veröffentlichen wie Moderatorengehälter und die Kosten für Sportrechte. Anderenfalls könne es sein, dass der NDR eines Tages selbst die „Verschlossene Auster“ entgegennehmen müsse.

Schwerpunktthema der nr-Tagung unter dem Motto „Schlechte Zeiten! Gute Zeiten! Aufbruch im Umbruch“ war die Medienkrise. Der nordrhein-westfälische Staatssekretär Marc Jan Eumann, der Not leidenden Lokalzeitungen seines Bundeslandes mit einer Stiftung helfen will, musste erfahren, dass diese Hilfe von den Verlagen nicht gewollt wird. Deren Vertreter fürchten, der Staat könne auf ihre Blätter Einfluss nehmen, wenn sie sich helfen lassen.

In der Online-Welt wiederum scheuen noch viele Titel vor der konsequenten Einführung von Bezahlmodellen zurück. „Welt“-Chefredakteur Jan-Eric Peters war bei der Podiumsdiskussion „Digital total“ der einzige Verlagsvertreter, der ein entsprechendes Modell vorweisen konnte. Seine Kollegen von Süddeutsche.de, Stern.de und „Spiegel Online“ mochten sich nicht klar zu Bezahlmodellen bekennen. Ein großes Problem vieler Modelle, darauf konnten sich die Teilnehmer der „Mein Kopf gehört mir“-Runde, Jakob Augstein, Stefan Niggemeier und „Spiegel“-Mann Cordt Schnibben, schließlich einigen: ein Bezahl-Button, der ohne bürokratischen Aufwand funktioniert. Es sei ja gar nicht gesagt, dass die Leute für Online-Inhalte nicht bezahlen wollten. Sie wüssten vor allem nicht, auf welchem Weg sie das tun sollten, sagte Medienjournalist Niggemeier.

Neben Aufsehenerregendem wie den Offshore-Leaks waren es auch in diesem Jahr die Werkstattgespräche in kleinem Kreis, die sich als so unterhaltsam wie aufschlussreich erwiesen. Die „Stern“-Redakteure Oliver Schröm und Uli Rauss stießen mit der Offenlegung ihrer wahrhaft abenteuerlichen Recherche über den Rap-Sänger Bushido bei Zuhältern, Kiezgrößen und Staatsanwälten auf so viel Zuschauerinteresse, dass die Veranstaltung am Folgetag wiederholt werden musste. „Raum wegen Überfüllung geschlossen“ — solange Netzwerk Recherche Schilder mit dieser Aufschrift vor die Türen stellen kann, ist seine Relevanz unbestritten.