Wo Einfühlungsvermögen in die Leserin mehr zählt als korrekte journalistische Recherche: Die Regenbogenpresse trotzt allen Medienkrisen

Hamburg. „Else! Hast Du schon gehört? Du. Ahnst. Es. Nicht!“, ruft Helga, als sie auf leise schmatzenden Hausschuhsohlen und eine Zeitschrift wedelnd durch das Treppenhaus eilt. „Helene Fischer heiratet!“ Zumindest will Helga das auf der Titelseite von „Freizeit Blitz“ gelesen haben, oder „Das Goldene Blatt“, „Echo der Frau“ – Illustrierte, die auf dem Couchtisch wie eine Jagdstrecke drapiert werden, die Rätselseiten aufgeschlagen, die Rezepte herausgetrennt. Hack geht immer.

Das ist das Bild, das wir uns in unserer Fantasie von Tratschtanten machen. „Und träumen wird man ja wohl noch dürfen“, das schreibt auch die Klatschzeitung „Freizeit Monat“ zum Titelthema „Märchenhochzeit auf dem Traumschiff“ von Helene Fischer und Florian Silbereisen. Natürlich gab es keine Hochzeit, die Fotos von Torte und Kleid, das sanft gehauchte Ja-Wort: alles nur eine Fiktion der Redaktion. Ein typisches Märchen einer stigmatisierten Branche. Wenn die Medienwelt eine glitzernde Metropole ist, dann ist die Regenbogenpresse die Spelunke, in der „Die Aktuelle“ oder „Frau im Spiegel“ nur flüsternd erwähnt werden.

Dabei kann das Yellow-Segment, wie es branchenintern heißt, mit beeindruckenden Zahlen aufwarten. Gut 70 Wochen- und Monatstitel verstopfen die Regalmeter im Zeitungsladen, eine halbe Milliarde dieser bunten Hefte für die Frau ab 60 verlässt jährlich die Druckereien. Der Marktführer „Freizeit Revue“ (Burda) ist mit einer Auflage von wöchentlich 840.000 Heften auf Augenhöhe mit „Spiegel“ und „Stern“. Die Umsätze sollen so saftig sein wie die Bratenrezepte. Doch während die Print-Krise und neue Erlösmodelle für Tageszeitungen und Nachrichtenmagazine zurzeit ausführlich diskutiert werden, finden Erfolge der „modernen Märchenblätter“, wie Franz Burda sie genannt haben soll, wenig Beachtung.

„Wir erzählen keine Märchen, wir erzählen Geschichten“, stellt Kathrin Kellermann, Chefredakteurin von „Neue Post“ klar. Das Yellow-Zugpferd aus dem Hamburger Bauer Verlag, mit wöchentlich 686.000 verkauften Exemplaren Nummer Zwei im Handel hinter der „Freizeit Revue“, ist ein Klassiker im Segment und sieht sich seit 1948 als „Die Nr. 1 in Adel“. Um das zu bleiben, kümmern sich alleine 25 Mitarbeiterinnen – und Mitarbeiter – nur um Society-Geschichten, telefonieren Stars und Sternchen, ihr Umfeld und die Pressestellen der Majestäten ab, werten Magazine und Agenturen aus und durchforsten Blogs und soziale Medien. „Der direkte Kontakt zum Star ist aber immer noch das Wichtigste“, betont Kellermann. „Wir wollen Geschichten mit Andrea Berg machen, nicht gegen Andrea Berg.“ So schreibt Volksmusiker Stefan Mross persönlich über seinen „tollpatschigen Dackel Zenzi“ und „wie die Liebe mein Leben beflügelt.“

Ingo Klinge, Geschäftsführer der Bauer Premium GmbH und verantwortlich für die drei in Hamburg produzierten Titel „Neue Post“, „Das Neue Blatt“ und „Das Neue“, kennt das schlechte Image der Branche. „Die Anzahl der Yellow-Leser ist gleich geblieben, aber immer mehr wollen ein Stück vom Kuchen abhaben.“ Das bedeutet, dass sich 70 Titel um „exklusive“ Geschichten aus einem überschaubaren Promi-Pool balgen. Es ist ein Junge! Nein, es ist ein Mädchen! Da ist aber was los bei Königs, besonders auf den Titelseiten, die sich alle zum Verwechseln ähnlich sehen. Kein Wunder, wenn die Hälfte aller Hefte „Freizeit“ im Namen trägt. „Freizeit Illu“, „Freizeit Express“, auch der Bauer Verlag ist seit 2004 mit der „Freizeitwoche“ dabei.

Emotionen sind wichtiger als Fakten. „Empathie ist die wichtigste Voraussetzung für unsere Journalisten, sie müssen sich in die Gefühlswelt der Leserinnen versetzen und die Texte entsprechend emotional anreichern“, sagt Kathrin Kellermann. „Aber der Kern eines Textes muss wahr sein.“ So ist das „schönste Geschenk“, das Königin Máxima auf dem Titel von „Neue Post“ der „überglücklichen Familie“ macht, im Innenteil kein neues Geschwisterchen, wie die Leser vermuten könnten, sondern: viel gemeinsame Zeit in den Ferien. Und ein Hund. Sehr schön.

„Schlimmer sind aber die Fälle, in denen die Autoren mit aller Kraft versuchen, die Wahrheit so zu verdrehen, dass sie zur Überschrift passt. Das geht zum Teil so weit, dass die Autoren schlichtweg falsche und ehrverletzende Behauptungen aufstellen“, weiß Moritz Tschermak. Der Journalistik-Student an der TU Dortmund schreibt mit Mats Schönauer den Blog „Topfvollgold“ und analysiert Regenbogengeschichten und ihre Methodik: „Zitat aus dem Zusammenhang reißen, knallige Überschrift, fertig. Steffi Graf wurde auf diese Weise eine Lebenskrise angedichtet und Boris Beckers Twitter-Account ist ohnehin die reinste Skandalfundgrube.“ Besonders kleine Redaktionen, die mit einer Handvoll Mitarbeiter arbeiten und deren Kontakte zu Stars sich auf Unterlassungsklagen beschränken, haben erstaunlich „exklusive“ Geschichten, in denen Prominente „wie man munkelt/wie Insider berichten/wie eine nahe Verwandte enthüllte“ schwanger oder geschieden sind. Und wenn dann doch kein Kind und kein Scheidungsanwalt kommt? Wer merkt das schon.

Die Gesundheits- und Ratgeberteile vermitteln Seriosität und Mitgefühl

Zu den wenigen Beobachtern der Branche gehört seit vielen Jahren die „FAS“ mit ihrer Kolumne „Herzblatt-Geschichten“, für die Redakteur Jörg Thomann Schneisen durch den Märchenblätterwald schlägt: „Woche für Woche werden Florian Silbereisen und Helene Fischer miteinander verheiratet, und in der nächsten Woche ist alles wieder vergessen – bis das Spiel wieder von vorn beginnt. Doch bei allem Nonsens scheinen die Blätter für ihre Leserschaft ja irgendwie eine Autorität zu sein. Das liegt vermutlich auch an den Gesundheits- und Ratgeberteilen, die Seriosität und Mitgefühl vermitteln.“

Der Markt kannibalisiert sich dabei. So verlor die „Neue Post“ durch die immer noch wachsende Konkurrenz am Kiosk in zehn Jahren knapp die Hälfte ihrer verkauften Auflage. Eine Antwort im digitalen Bereich fehlt den Verlagen noch. Die acht Titel des kleinen Hamburger Deltapark Verlags haben keinen eigenen Internet-Auftritt, der Bauer Verlag fasst die Inhalte von über 30 Frauen- und Unterhaltungsmagazinen auf dem gemeinsamen Portal „wunderweib.de“ zusammen.

Allerdings will man die bunten Hefte bei Bauer zukunftsfähig machen und im Netz ein stärkeres Profil etablieren. Generell sollen laut Ingo Klinge die digitalen Möglichkeiten des Regenbogen-Segments schon bald speziell im Community-Bereich deutlich ehrgeiziger genutzt werden. „Das Potenzial ist jetzt da.“ Dennoch: „Unsere Priorität ist nach wie vor Print“, sagt Kathrin Kellermann, „aber wir sind tatsächlich dabei, einen Facebook-Auftritt von ‚Neue Post’ vorzubereiten.“

Helga wird sich freuen. „Else! Hast Du schon gehört?“, ruft sie, als sie auf leise schmatzenden Hausschuhsohlen und ein iPad wedelnd durch das Treppenhaus eilt. „Helene Fischer heiratet schon wieder!“ Du. Ahnst. Es. Nicht!