Die NDR-Koproduktion “Unkraut im Paradies“ erzählt von einem jungen Mann, der nicht erwachsen werden will. Der Film kommt mit der typischen Grundsatzsentimentalität von Erstlingswerken daher.

Es gibt Menschen, denen kann man nichts übel nehmen. Selbst dann nicht, wenn sie im Stundentakt Dinge verbocken und mit beiden Beinen im Fettnapf stehen. Wie Lukas. Ein Typ mit Welpenblick, der selbst das abgeklärteste Felsbrockenherz erweicht, wenn er seinen Charme versprüht. So schön, dass man ihn jederzeit in die Foto-Lovestory der „Bravo“ einwechseln könnte. Der Film beginnt, als Lukas, gespielt von Remo Schulze, in einer eher mittelprächtigen Phase seines Lebens steckt. Um nicht zu sagen: Es hakt an allen Ecken. Er verliert den Job im Autohaus, weil er mit der Tochter des Kunden flirtet, anstatt das Fahrzeug zu polieren. Freundin Meike (Klara Manzel) muss wegen einer Geschlechtskrankheit ins Krankenhaus und erwartet Mitleid gepaart mit Zukunftsplänen. Und ist damit bei Lukas, der die Teenagerphase um ein paar Extrajahre verlängert hat, an der völlig falschen Adresse.

„Unkraut im Paradies“ von Alexandra Wiersch und Bartosz Werner ist einer jener sehenswerten Nachwuchsfilme, die im aktionsarmen Fernsehsommer einen raren Sendeplatz im Hauptprogramm ergattern konnten. Zwar erst knapp vor Mitternacht, aber immerhin. Der Film, eine Koproduktion des NDR, gefördert von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein, ist bereits festivalerprobt und kommt mit der typischen Grundsatzsentimentalität von Erstlingswerken daher, die Erwachsenwerden und Beziehungsknatsch mindestens so ernst nehmen wie Klimawandel und Abschiebehaft.

Man braucht einen starken Hauptdarsteller, ein solides Drehbuch, will man von einem jungen Mann erzählen, der wenig bis gar nichts auf die Reihe bekommt. „Unkraut im Paradies“ hat beides. Der Zuschauer interessiert sich für Lukas, der zwar mit dem Chaos per Du ist, aber eben auch gefangen in seiner Sorglosigkeit und dem Glauben, ein Lebensrecht zu haben auf eine Existenz mit hohem Spaßfaktor. Er besitzt keinen Führerschein, findet aber stets jemanden, der ihn herumkutschiert. Leere Bierflaschen sammelt er auf dem Couchtisch in der Überzeugung, sie würden von selbst in den Container wandern, wenn man ihnen nur genug Zeit lässt. Das Einzige, was er aus seinen Fehlern lernt, sind gute Pointen. Eine Frage der Zeit also, bis Freundin Meike die berühmten Worte ausspricht: „Ich brauche eine Pause.“

Die Story plätschert ein wenig planlos dahin, was jedoch ganz sympathisch rüberkommt. Zudem passt es zu der Hauptfigur, die auch nicht weiß, wohin sie unterwegs ist. Die sich mit ihrer Rebellion immer todernst genommen hat, wo die anderen längst mit den Augen rollten. Die „Bitte mal alle hergucken!“-Attitüde gelingt Remo Schulze vorzüglich. Ob als großer Sprücheklopfer („Mit Frauen, die keine Titten haben, rede ich nicht“) oder als Karaokesänger mit Hüftschwungeinlage, er trifft den richtigen Ton. Die Prioritäten in Lukas’ Leben sind klar verteilt: Erst kommt das eigene Ego, dann Frauen, Partys und Schluss. Eine Heldenfigur sieht anders aus. Und in der heutigen Leistungsgesellschaft, in der man mit dreieinhalb Jahren zum Chinesischkurs pilgert, ist einer wie Lukas ein Paradiesvogel unter Artenschutz.

Auch jenseits von Schulze ist der Film toll besetzt. Klara Manzel, Tochter der Schauspielerin Dagmar Manzel, macht glaubhaft ihre Zerrissenheit zwischen Genervtsein und Zuneigung zu dem Mann mit Kleinjungenverstand deutlich. Charly Hübner, einer der besten Fernsehkommissare dieses Landes, gibt den coolen Vater mit Prinzipien, der seinen Sohn zu mehr Eigenständigkeit erziehen will (und natürlich weiß, dass es dafür ein paar Jahrzehnte zu spät ist). Es fällt an dieser Stelle wieder einmal auf, wie angenehm es ist, auf dem Bildschirm Menschen zuzusehen und nicht Pappfiguren mit Dialogauftrag.

„Unkraut im Paradies“ erzählt vom Erwachsenwerden und Jungsein. Davon, wie zart, bittersüß und aussichtslos das Leben in diesem Alter sein kann.

„Unkraut im Paradies“, heute, 23.15, ARD