Mit umjubelten „Shakespeare Dances – Die ganze Welt ist Bühne“ hat der Hamburger Ballettchef seinen Reigen zum 40. Dienstjubiläum eröffnet.

Hamburg. Es ist wie bei einem Klassentreffen. Eine männliche Stimme sagt am Telefon: „Ich stehe am Bahnhof. Du kannst mich abholen.“ Plutarco Pardo, der Tänzer aus den Anfängen von John Neumeiers Hamburg Ballett, hat den weiten Weg aus Kolumbien und die Kosten nicht gescheut, um das dreiwöchige Festival „40 Jahre John Neumeier in Hamburg“ mitzufeiern.

Sage und schreibe 170 Ehemalige, Tänzer, Dramaturgen, Choreografen sind seinetwegen nach Hamburg gekommen! Wenn man diese unglaubliche Zahl mit der zum 30. Jubiläum von John Neumeier vergleicht, zu dem immerhin 114 Ehemalige angereist waren, dann macht das die Steigerung einer Wertschätzung deutlich, die Hamburgs Ballettintendant nicht nur in seinem unmittelbaren künstlerischen Umfeld erfährt, sondern offenbar in der ganzen Stadt. Derart lang anhaltende Standing Ovations, wie sie John Neumeier in den vergangenen Tagen zuteil wurden, hat wahrscheinlich vor ihm noch kein Ballettchef erfahren.

Beim Senatsempfang vergangenen Freitag im Großen Festsaal des Rathauses schritt Hamburgs Ehrenbürger, das Bild drängte sich förmlich auf, wie Moses mit seinem Gefolge durch das Rote Meer. Zu beiden Seiten des Mittelganges erhoben sich die Gäste zu nicht enden wollenden Ovationen, die sich bei der Voraufführung zur Eröffnung der 39. Hamburger Ballett-Tage mit „Shakespeare Dances – Die ganze Welt ist Bühne“ in der Staatsoper wiederholten. Eine Figur, die sich durch alle Werke hindurchzieht, ist Jacques aus „Wie es Euch gefällt“, als dieser nimmt der erste Solist Carsten Jung verschiedene Rollen an.

Neumeier wird zu Recht gefeiert. So viel inspirierende Kraft ging von dem dreiteiligen, von ihm selbst neu gefassten Abend mit den Shakespeare-Balletten „Wie es Euch gefällt“, „Hamlet“ und „Vivaldi oder Was ihr wollt“ aus, so viel Energien verströmten die Tänzer und die Philharmoniker unter der Leitung von Simon Hewett, dass man sicher sein kann, dass auf die ersten 40 Jahre Hamburg noch viele weitere für John Neumeier folgen. Schon jetzt ist der 71-Jährige der dienstälteste Chefchoreograf weltweit. „Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit Ihnen“, hatte Kultursenatorin Barbara Kisseler beim Senatsempfang versichert, und Neumeier selbst verriet, wie sehr ihn die Arbeit mit jungen Menschen anrege, ihn zwinge, in Bewegung zu bleiben.

Im Übrigen seien die 40 Jahre in Hamburg ein Klacks gegenüber den Dezennien großer Choreografenkollegen wie Petipa, Béjart und Balanchine, die ihn alle als Ballettchefs zeitlich überflügelt hätten. Er wird es schaffen. Die Zahlen 40 und 50 hatten sich als Aufforderung zwei Jungtänzer mit Lippenstift auf die Wangen gemalt: „40 is good, 50 is better.“

Die Frage, ob Neumeier über das Jahr 2015 hinaus, so lange läuft sein Vertrag, verlängert, scheint also geklärt.

„Ich gehöre zur ersten Generation von den Tänzern, die John aus Frankfurt 1973 mitgebracht hat“, strahlt die ehemalige Erste Solistin Persephone Samaropoulo im phonstarken, vielstimmigen Geschnatter im Foyer der Staatsoper. „Mum“, hätten ihre erwachsenen Söhne gesagt, „du gehörst nach Hamburg. Das ist deine Heimat.“ Also hat sie, verwitwet, ihre Koffer gepackt und ist von Kapstadt zurück nach Hamburg gezogen.

Dieses Hamburg-Heimat-Gefühl haben selbst diejenigen, die seit Jahrzehnten nicht mehr hier leben, oder nur ein Jahr in Neumeiers Compagnie waren. Birgit Pfitzner, langjährige Sekretärin Neumeiers und jetzt in Rente, hat sie alle in den hintersten Ecken der Erde ausfindig gemacht und angeschrieben. Sie hatte natürlich auch Plutarco Pardo abgeholt und ihm kurzfristig ein preiswertes Zimmer in einer Pension organisiert.

Vor Beginn der Sonderaufführung am Sonnabend herrschte im Foyer der Staatsoper und wie zuvor schon im Rathaus eine Stimmung wie bei einem Treffen von guten alten Freunden. „Ich bin glücklich, richtig glücklich“, schreit Beatrice Cordua förmlich gegen die Welle allseitigen Glücks an. Sie lebt in Berlin, sieht unverändert aus und macht „immer noch die schrecklichen, verrückten Ballette, wie früher“. Es sei doch unglaublich, dass so viele gekommen seien. „Das ist Johns Verdienst. Wir waren alle immer gut miteinander.“

Das muss wohl so sein, denn das Fragende, Sich-mit-den-Augen-Abtastende, das Erkennen und Sich-spontan-in-die-Arme-Fallen zeugen von echter Freundschaft.

John Neumeier, auch das wird außerhalb der Bühne klar, hat immer Wert auf individuelle, starke Persönlichkeiten gelegt: Wenn Caspar Hummel aus der ersten Tänzergeneration mit Rauschebart und Ernst-Fuchs-Käppi durch die Kollegenreihen schreitet, wenn die einstigen Stars François Klaus und seine Frau Robyn White, lange Jahre im australischen Brisbane als Ballettchefs tätig, in erster Linie als ganz normale Bürger nach Europa zurückkehren wollen und Bettina Beckmann versichert, sie vermisse den Tanz nicht mehr, weil sie mit ihrem Mann Jean Laban und den beiden Söhnen in Biarritz als Physiotherapeutin glücklich sei, dann ist das glaubhaft.

Ballerinen wie Heather Jurgensen, Mette Boettcher, Joelle Boulogne, oder die schwarze Gazelle Rena Robinson aus Seattle – sie hat immerhin vier Kinder zwischen 20 und elf Jahren – sind so fragil wie eh und je und haben ihren Platz nach wie vor in der Ballettwelt. Sie sind schön und strahlen eine tiefe Zufriedenheit aus. Wie jene Ballettdirektoren, Ivan Liska, Jean-Christoph Maillot, Ralf Dörnen, Yaroslav Ivanenko, Dinko Bogdanic und François Klaus, die eigene Compagnien leiteten oder leiten. „Die Compagnie ist ein Garten, der gepflegt werden muss“, sagte John Neumeier. Er hat offenbar einen grünen Daumen.

Während der 39. Ballett-Tage sind insgesamt 23 verschiedene Ballette in 19 Vorstellungen geplant. Den Abschluss des zum Jubiläum um eine Woche verlängerten Festivals bildet am 30. Juni die traditionelle „Nijinsky-Gala“.