In ihrem Buch über Helen Hessel erzählt Marie-Françoise Peteuil die Geschichte einer lustbetonten Egoistin. In Deutschland trat Hessel als Paris-Korrespondentin und Modejournalistin der „Frankfurter Zeitung“ in Erscheinung.

Es war eine leidenschaftliche Ménage-à-trois, die sie da vor reichlich 100 Jahren aufführten, ein Hin und Her der Leidenschaften, ein Überquellen der Emotionen zwischen Berlin und Paris – so war das bei Franz und Helen Hessel und ihrem gemeinsamen Freund Henri-Pierre Roché. Oder waren es nicht in Wirklichkeit nur Helen Hessel, Tochter eines Berliner Bankiers, und der französische Kunsthändler Roché, die sich ganz einer alles verzehrenden Liebe hingaben? Franz Hessel, der ebenfalls lange in Berlin beheimatete Dichter, zog sich früh aus der erotischen Dreierkiste zurück. Er war zwar mit Helen bis ans Lebensende verheiratet (und das da schon zum zweiten Mal), aber er überließ seinem Pariser Freund letztlich bereit- und mutwillig seine Ehefrau.

Dieser Freund war, genauso wie Helen Hessel selbst, ein erotomaner Mensch, und er schrieb, nachdem die Liebe schon lange erkaltet war, einen berühmten Roman, der zu einem noch berühmteren Film wurde: „Jules und Jim“. Jeanne Moreau spielte die Hauptrolle in dem Werk von François Truffaut, und die Figur, der diese Leinwandschönheit nachempfunden war, spielt die Hauptrolle in einem Buch, das jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. „Helen Hessel. Die Frau, die Jules und Jim liebte“ ist die Biografie einer Diva, die modern war in ihrer libidinösen Freizügigkeit und absolut in ihren Wünschen, aufgeschrieben hat sie die französische Autorin Marie-Françoise Peteuil.

Und diese stürzt sich auf ein Objekt, dessen Prominenz zunächst infrage steht, ja: das der Nachwelt eigentlich nicht viel hinterlassen hat. Helen Hessel, geborene Grund, wurde vor zwei Jahrzehnten besonders in Frankreich durch die Veröffentlichung ihres „Journals“ bekannt, in dem sie ihre Beziehung mit Roché festhielt – auf dessen ausdrücklichen Wunsch. Aber anders als ihr Gatte Franz, der in der deutschen Literaturgeschichte seinen Platz hat und dessen Flaneur-Buch „Spazieren in Berlin“ unlängst wiederentdeckt wurde, gelang Helen als Malerin und Autorin nichts, was überdauerte. Die unstete Frau, die 1886 geboren wurde und 1982 starb, begann vieles und brachte wenig zu Ende. In Deutschland trat sie als Paris-Korrespondentin und Modejournalistin der „Frankfurter Zeitung“ in Erscheinung, schreiben konnte sie, Adorno las ihre Kolumnen überaus gerne.

Und lieben konnte sie, die ganz selbstverständlich mit den Kunst- und Geistesgrößen verkehrte, mit Rilke, Man Ray, Duchamp und Walter Benjamin. Helen Hessel, die lustbetonte Egoistin, brachte zwei Söhne zur Welt: Ulrich (geboren 1913) und Stefan (geboren 1917), der als Stéphane Hessel in der Résistance gegen Hitler kämpfte und 2011 als politischer Essayist weltbekannt wurde. Der Autor von „Empört euch“ starb vor wenigen Wochen 95-jährig in Paris, der Stadt, die auch zur Wahlheimat seiner Mutter geworden war. Das Kosmopolitische hatte er von ihr geerbt, die besonders in der ersten Lebenshälfte ständig umzog, immer wieder auch in ihr Geburtsland reiste. Am Ende ihres Lebens war sie überzeugte Französin. In Paris hatte sie einst Franz kennengelernt, nach Paris siedelte sie nach einigen Berliner Jahren über, um in seiner Nähe zu sein. Dafür hatte sie das Einverständnis des toleranten Gatten. Der blieb in Berlin, schärfte sein Profil als Schriftsteller und arbeitete als Lektor beim damals in Berlin residierenden Rowohlt-Verlag: Hessel erscheint in dieser Dreiecksgeschichte als buddhamäßige Hintergrundfigur, die stoisch die Launen von Freund und Ehefrau erträgt.

Er war wohl auch froh, sich der wilden Helen nicht allein ausliefern zu müssen. Das Spiel der beiden Liebes-Tragöden Hessel und Roché trug teilweise bizarre Züge. Sexuell waren sie einander verfallen, und besonders er hing der Religion der körperlichen Liebe begeistert an. Hessel war längst nicht seine einzige Geliebte, wie auch sie kein Kind von Traurigkeit war. Die Sympathien der Biografin Peteuil gehören eindeutig Helen. Roché war eitel bis zur Lächerlichkeit, sein bestes Stück nannte er den „God“. Im Wahn, unbedingt einen Stammhalter zu zeugen (an eine Tochter verschwendete er keinen Gedanken), schwängerte er Helen mehrere Male. Die trieb jedes Mal ab, weil der hochneurotische Roché sich seiner Sache nie sicher war. Zwischendurch ließ sich die Liebeskranke gar von Franz scheiden, das Kind, wäre es denn zur Welt gekommen, sollte ja auf jeden Fall den Namen Rochés tragen.

Es war ein seltsames Arrangement, mit dem die Hessels mehrere Jahre, bis zum Bruch Helens mit Roché im Jahr 1934, ihr unbürgerliches Familienleben aufrechterhielten. Helen mochte ihre Liebhaber haben, letztlich war das Band zu ihren Söhnen, für die sie sich zerriss, und zu ihrem jüdischen Mann immer eng. Peteuils psychologische Deutungen, ihr warmherziger Blick auf diese in Deutschland nahezu unbekannte Vorbildfigur der Buch- und Filmheldin Catherine, bleiben nie lange im Status der Verwunderung, wie man so rückhaltlos lieben könne. Die Biografie handelt zum größten Teil von den erotischen Wanderjahren Helen Hessels. Aber Peteuil ist dann doch bemüht, den Gegenstand ihrer Arbeit – sie schöpft hauptsächlich aus Hessels autobiografischem „Journal“, aus Franz Hessels Erzählwerk, aus der Korrespondenz zwischen Hessel und Roché und dessen Tagebüchern – in größeren Zusammenhang zu stellen.

Der Temperamentsbolzen Helen, von dem sich der liederliche Roché am Ende der Affäre mit dem Tode bedroht fühlte, war auch eine couragierte Zeitgenossin, die ihren Mann im letzten Moment aus Berlin nach Frankreich holte, weil er die Gefahr der Nazis unterschätzte. Aber ob die Muse und Prä-Feministin Hessel, die vor dem Krieg Verfolgten in Frankreich bei der Flucht aus Europa half und danach Nabokov übersetzte, tatsächlich fast zur maßgeblichen Widerstandskämpferin wurde? Aus dem Jahr 1939 existiert ein mit Aldous Huxley verfasster Aufruf an die deutschen Frauen, mit ihren Kindern vor Hitler zu fliehen und so das Regime zur Implosion zu bringen. Nicht mehr als eine Idee, versteckt im Nachlass.

Marie-Françoise Peteuil: „Helen Hessel“. Übers. v. Patricia Klobusiczky. Schöffling. 456 S., 24,95 €