Das Gastspiel des Münchner Metropoltheaters mit „Portia Coughlan“ eröffnete die Privattheatertage in den Kammerspielen - ein Beispiel für couragierte, experimentierfreudige Theaterarbeit.

Hamburg. Die Staatstheater unterliegen zwar auch ökonomischen Zwängen, meinte Intendant Axel Schneider in seiner Eröffnungsrede der Privattheatertage in den Kammerspielen, doch die Balance zwischen Kommerz und Kunst zu halten, das werde bei den nicht subventionierten privaten Bühnen rasch zur Existenzfrage. „Aber irgendwie schaffen wir es immer, mit Leidenschaft und Mut unsere Visionen zu verwirklichen“, sagte der Intendant der mit knapp 940.000 Euro jährlich subventionierten Kammerspiele.

Die Werkschau, die nun zum zweiten Mal in acht Hamburger Theatern über die Bühnen geht, gibt für Visionen ein schönes Exempel. Schneider hat sie mit Risikolust und der zusätzlichen finanziellen Unterstützung des Bundes auf die Beine gestellt, wobei ihn der CDU-Politiker Rüdiger Kruse tatkräftig unterstützte. Denn der „Kern von Europa ist Kultur“, ließ er in seinem Grußwort wissen und stellte dem Festival dauerhafte Unterstützung in Aussicht, sofern es, wie er sagte, nationale Bedeutung erlange.

Ein Beispiel für couragierte, experimentierfreudige Theaterarbeit gibt auch das Gastspiel des Münchner Metropoltheaters mit dem irischen Familiendrama „Portia Coughlan“ über Schuld, vergebliche Liebe und verpfuschtes Leben. Es stellt zugleich die hier wenig bekannte, in England jedoch renommierte Dramatikerin Marina Carr vor. Sie erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die sich nach der verlorenen Seele ihres im Belmont-Fluss ertrunkenen Zwillingsbruders sehnt, deshalb säuft, fremdgeht, Mann und Kinder vernachlässigt.

Das Stück beginnt an Portias 30.Geburtstag. Sie sitzt auf dem Boden und bedient sich zugkräftig aus einer Cognacflasche. Sie hat den reichsten Mann am Ort geheiratet, aber nicht aus Liebe, sondern weil er wie ihr toter Bruder den Namen eines Erzengels trägt. Raphael (Hubert Schedlbauer) zeigt denn auch wahre Engelsgeduld mit seiner aufsässigen Frau und schenkt ihr ein kostbares Armband. Ihre Tante Maggie May (herzerfrischend direkt und ehrlich: Lilly Forgách) erscheint. Die bekannte Dorfnutte zeigt als Einzige eine mütterliche Herzlichkeit und Wärme. Portias Eltern entpuppen sich als der reine Horror. Hysterisch die Mutter (Nikola Norgauer), brutal der Vater (Butz Buse).

Portia fühlt sich fremd in der Familie, eigentlich dominiert von der Großmutter, die Christiane Buschhoff als hasserfüllte Furie im Rollstuhl mit der Bösartigkeit einer Horváth-Oma gibt. Die Enkelin rebelliert gegen deren Bigotterie und die erdrückende Liebe ihres Mannes., indem sie sich mit windigen Liebhabern herumtreibt: einem Jugendgespielen (Christian Hoening) und dem Cowboy hinter dem Tresen (Paul Kaiser). Die Stimme des toten Bruders Gabriel im Ohr (hörbar durch magischen „Cello-Gesang“), hadert sie mit dem Verlust ihres zweiten Ichs.

Elisabeth Wasserscheid, eine androgyn eckig wirkende, eigentümlich spröde und mit nassforschem Witz agierende Schauspielerin, ist das Zentrum von Jochen Schölchs Inszenierung auf Sanna Dembrowskis den Fluss symbolisierender, die Bühne ausfüllenden Schräge. Der Regisseur nützt sie als Bartresen, Bett und Tafel für den Leichenschmaus. Denn Portias Flucht in den Tod wird mitten im Stück vorweggenommen. Sie hängt, aus dem Wasser gezogen, in einem Laken über den Köpfen der Sippe. Im erbitterten Streit werden deren Animositäten, Sünden und Schuld aus der Vergangenheit offenbar.

Marina Carr verbrämt die schwermütige Psychostudie mit einem etwas märchenhaft-mythischen „Zwillingszauber“, der Portia wie ein böser Fluch verfolgt. Nur sparsam heitert die Dramatikerin die Gewalt- und Hassausbrüche in der nassen Familienhölle mit lakonischem Dialogwitz auf. Schölchs in gleichmäßigem Rhythmus dahinfließende Szenen-Folge verleiht der Aufführung Schwere. Schade, dass er seine Ideen – das Spiel mit den Blüten und die Gläser-Tricks in den Barszenen – überstrapaziert. Der Regisseur entgeht jedoch durch die szenische Reduktion und das ausstellend distanzierte Spiel der Akteure irischer (nur in der Musik anklingender) Folklore und dem Milieu-Realismus eines Sozialdramas.

Mit dem homogenen Ensemble, das die Episodenfiguren scharf konturiert doch nie karikiert, gewinnt Schölch dem Text komödiantische, auch poetische und tragische Momente ab. Der bildstarke und schauspielerisch beeindruckende, doch auch spezielle Abend zeigte, dass Privattheater ungewöhnliche Stücke entdecken und eigenständiges, künstlerisches Profil präsentieren.

Privattheatertage bis 16.6., Karten unter T. 413 34 40; www.privattheatertage.de