Simone Youngs “Götterdämmerung“ war das Finale ihres dreiwöchigen Opernmarathons. In Youngs Kalender stehen bis zur Sommerpause “nur“ noch Konzerte, als sichtbare Operndirigentin hat sie Generalpause bis Oktober.

Hamburg. Soll man Simone Young da vorn im Rampenlicht beneiden, bewundern oder bedauern, weil jetzt alles vorbei ist? Sonntag, später Abend, die „Götterdämmerung“, 2010 von Claus Guth als eher statische Angelegenheit inszeniert, bei der es im Konzeptgebälk knirschte, ist nun auch durch. Hagen hatte Siegfried mit dessen eigenem Schwert Nothung gemeuchelt, statt ihm ordnungsgemäß und texttreu einen Speer in den Rücken zu rammen. Witwe Brünnhilde ritt auch nicht ins Feuer, sondern versuchte es, zu Fuß bis zu Siegfrieds Geist ans Küchenfenster zu schaffen. Egal jetzt, Regietheater-Petitessen. Auch die drei Umbesetzungen wegen Krankheit in den kleineren Rollen Alberich, Woglinde und Gutrune wurden solide weggesteckt.

Musikalisch war es kein Abend für die Ewigkeit, der Blick auf die nahe Ziellinie war wohl zu verführerisch. Aber Young hat durchlitten, genossen und – diese Vokabel wird im Wagner-Jubiläum noch lieber genommen als ohnehin – gestemmt, was vor ihr so niemand wagte: zehn Wagner in drei Wochen. Ein Kraftakt, der einem mit Mozart oder Strauss nie begegnet, weil der Suchtfaktor ein ganz anderer ist. Und Young, noch voll drauf auf dieser Droge, strahlt, erleichtert und erschöpft, als sie sich nach dem ganzen Wagner-Wahnsinn ihren verdienten Beifall abholt.

Rund 40 Stunden Spieldauer liegen hinter ihr und allen Beteiligten, dazu das Proben, das Vorglühen und das Auslaufen zum Runterkommen danach. Konzentration und Kondition bis zum Anschlag, wochenlang. Zum Verrücktwerden dürfte das zwischendurch immer wieder gewesen sein, ständig scheiternde Helden und tragisch dahinsinkende Frauen mitzuerleben, für jede Oper eine eigene Klangwelt errichten. Auch für jene Inszenierungen der Vorgänger Metzmacher & Konwitschny, mit denen die Wagnerianerin Young bislang so ihre Not hatte. Aber nur ein bisschen Wagner zum 200., das wäre wie halbschwanger gewesen. Young hat den Zehnkampf mit Wagners Werkkatalog gewagt und dabei, auch als nicht immer unumstrittene Dirigentin und Hausherrin, an Größe und Format gewonnen. „Was du bist, bist du nur durch Verträge“, bekommt Wotan im „Rheingold“ vom Riesen Fasolt ins Stammbuch geschrieben. Young hat diese Lektion hier gelernt. Einfach war das wohl nicht, schmerzfrei sicher auch nicht.

Simone-Young-Festspiele also nun, wo die Würfel über ihre Zukunft in Hamburg gefallen sind, mit Wagner als Schutzpatron, ohne den jährlichen Rhythmus, den man dafür normalerweise anlegt. Die Statistik dieses Wagner-Wahn-Unikats spricht für sich, auch ohne die Abrundung durch einen „Rienzi“, zu dem man sich nur konzertant durchringen konnte: 98 Prozent Auslastung, 16.266 Besucher aus 30 Ländern. Der Stress hat sich auch in dieser Hinsicht gelohnt. Doch wo so viel gewagnert wurde, fielen hier und da auch Späne. Bei den Vorab-„Meistersingern“ mit Klaus Florian Vogt als Gast-Star war unüberhörbar, welche Stimme zum Hausbestand zählt und welche nicht mehr, auch die Philharmoniker mochten noch nicht so recht dem euphorisierenden „Hier gilt’s der Kunst“ gehorchen. Der für den allergisch verhinderten Lohengrin eingesprungene Stig Andersen kam wenige Tage später als Tristan sehr gut über die gefürchtete Langstrecke, es war ein wehmütiger Abschied von Ruth Berghaus’ legendärer Inszenierung. Abschied zu nehmen ist nun auch von jenem Viererpack, mit dem Young ihre Hamburger Ära prägen wollte: ihr „Ring“ wird bis zu Kent Naganos Antritt 2015 nicht mehr gezeigt, und danach sicher auch nicht. Wagner-Ringe sind Chefsachen; Prestigeobjekte, die niemand auftragen will.

In Youngs Kalender stehen nun und bis zur Sommerpause „nur“ noch Konzerte, als sichtbare Operndirigentin hat die Generalmusikdirektorin Generalpause bis Oktober. Danach steht mit „La Battaglia di Legnano“ die erste von drei „Verdi im Visier“-Gratulations-Premieren an. Irgendwas ist ja immer. Und für die Jetzt-erst-recht-Fraktion beginnen schon Ende Juli die Bayreuther Festpiele. Der Wahn, er höret nimmer auf.