Der preisgekrönte amerikanische Dokumentarfilm “Die Königin von Versailles“ ist am Dienstag in der ARD zu sehen. Autorin Lauren Greenfield hat die US-Milliardärsfamilie Siegel zwei Jahre begleitet.

Auf dem Boden der Realität landet man selten weich. „Wie heißt mein Chauffeur?“, fragt Jackie Siegel den Mann am Schalter der Autovermietung mit reizendem Lächeln. Als er nicht reagiert, dämmert es ihr langsam: „Wie — ich habe gar keinen?“ „Mami, was machen die ganzen Leute in unserem Flugzeug?“, kreischen die Kinder auf dem ersten Linienflug ihres Lebens. Chauffeur, Privatjet und der hauseigene Barkeeper, bisher Grundpfeiler des Alltags wie die morgendliche Schüssel Cornflakes, gehören nach Finanzkrise und Bankencrash im Jahr 2008 bei Familie Siegel der Vergangenheit an. Vorerst. Das größte Einfamilienhaus Amerikas (35 Badezimmer! Sushibar! Rollschulbahn!), eine Mischung aus Palasthotel und Versailles auf dem Boden Floridas, das zum neuen Familiendomizil ausgebaut werden soll, steht vor der Zwangsversteigerung. Noch lockt in allen Ecken der Luxus, glitzern die Statussymbole, aber der Lack des Oberflächenglücks hat Kratzer bekommen.

Die Autorin Lauren Greenfield hat die US-Milliardärsfamilie Siegel zwei Jahre beim Geldausgeben, Reichwerden und schließlich beim Kampf mit unbezahlten Rechnungen, Klagen von Baufirmen und Massenentlassungen begleitet. „Die Königin von Versailles — Die fabelhafte Welt der Reichen und Schönen“ gibt Einblick in eine Existenz, die keine Maßstäbe mehr kennt. Geld ist nichts, für das man arbeiten muss, sondern bedrucktes Papier, das man säckeweise aus dem Fenster schmeißt. „Zu meinen Hoch-Zeiten habe ich für eine Million Dollar im Jahr geshoppt“, sagt Jackie, ehemalige Miss Florida und Mutter von sieben (!) Kindern. Ihr Mann David hat ein Vermögen mit dem Bau von Luxusressorts gemacht. David und Jackie sehen exakt so aus, wie man sich in Europa ein superreiches amerikanisches Ehepaar vorstellt: Er ziemlich angegraut, das Handy scheint mit seinem Ohr verwachsen; sie eine fleischgewordene Barbie mit schwerkraftresistenten Brüsten und Glitzerschlauchkleidern. Der Haushund heißt Chanel. Aber Greenfields 90-minütiger Dokumentarfilm, der beim Sundance Film Festival den Preis für die beste Regie gewann, ist mehr als nur eine bloße Abbildung eines in Reichtum ertränktem Daseins. Und er trifft mitten hinein in eine scheinbar immer aktuelle Debatte um obszönen Luxus und „Die Moral der Mächtigen“ (Günther Jauch).

Man muss bei „Die Königin von Versailles“ auch mehr an Sofia Coppolas gerade in Cannes vorgestellten Film „The Bling Ring“ um eine Jugendclique denken, die wohnzimmergroße Haute-Couture-Kleiderschränke von Promis leerräumt, als an das naheliegende deutsche Pendant auf RTL2, „Die Geissens“, jener schrill schillernden Sippe, die dem Privatsender einen Überraschungserfolg mit bis zu zwei Millionen Zuschauer pro Folge (und sehr geringen Produktionskosten) beschert hat. Wie bei Coppola geht es auch in der Dokumentation um die Leere des Überflusses. Um das System Luxus. Und immer auch um den amerikanischen Traum, in dem man es von einer Bikini-Misswahl (Sie sei ein ‚small town girl‘, erklärt Jackie) zu einem Schwimmbad mit Marmorstatuen und Krokodillederstiefel von Gucci im Wert von 17.000 Euro bringen kann. Der Weg andersherum ist weniger ruhmreich, auch davon erzählt „Die Königin von Versailles“.

„Wenn es sein muss, werde ich auch 150 Jahre, wenn es so lange dauert, um wieder ganz oben zu sein“, sagt David Siegel, der auch millionenschwer immer noch Wutanfälle bekommt, wenn in unnötig vielen Räumen Licht brennt. „Finger weg vom Thermostat“, kritzelt er auf kleine Klebezettel für die Angestellten. Warum er ein noch größeres Haus baue, will die Autorin einmal von ihm wissen. Die Antwort kommt prompt: „Weil ich es kann.“

„Die Königin von Versailles“, Dienstag, 4. Juni, 22.45 Uhr, ARD