In seinem Drama „Die wilde Zeit“ erzählt Olivier Assayas vom Aufwachsen im Paris der Jahre nach 1968

Über Die Anfänge des Regisseurs Olivier Assayas als Maler ist wenig bekannt. Allerdings hat er seinen 2005 erschienenen Erinnerungen an das Heranwachsen nach dem Pariser Mai 1968 ein Selbstporträt vorangestellt. Es zeigt ihn, wie er sich im Alter von 18 Jahren sah. Das Antlitz ist feuerrot, die rechte Gesichtshälfte hat er ungestüm übermalt: Seine Züge scheinen zu zerlaufen wie eine Maske aus Wachs, die schmilzt. Das Bild zeugt von einer existenziellen Zerrissenheit, über die man gern Aufschluss gewinnen würde.

In „Die wilde Zeit“ gibt Assayas eine verhaltene Antwort, blendet zurück zu seinem inneren Aufruhr und seiner Sinnsuche. Und das Motiv des Feuers spielt auch eine zentrale Rolle. Es ist nach „L’Eau froide“ (1994) und dem Memoirenband der dritte Versuch, über diese Periode Rechenschaft abzulegen. Er geht in mehrfacher Hinsicht auf die Suche nach der verlorenen Zeit.

Die Handlung setzt im Februar 1971 ein, mit der legendären Demonstration auf der Pariser Place de Clichy. Im Zentrum steht Gilles (Clément Metayer), der sich begeistert für die Sache der Revolution engagiert und Pamphlete und alternative Zeitungen verteilt. Die Liebe kann er mit einer Freizügigkeit entdecken, die der Generation seiner Eltern verwehrt blieb. Laure (Carole Combes) ist eine kritische Muse seiner Versuche als Maler; nachdem sie ihn verlässt, findet er in Christine (Lola Créton) einen wehrhaften Ersatz. Die gesellschaftliche Utopie besitzt für sie noch Schönheit. Jedoch herrscht ein mulmiger Rechtfertigungsdrang, rasch zieht man den Verdacht der Illoyalität gegenüber der „Sache“ auf sich.

In einem gelassen episodischen Rhythmus erzählt Assayas, wie die Charaktere schrittweise eine Ablösung von den Idealen vollziehen und in den Künsten eine andere Art von Freiheit finden. Der Film fällt kein Urteil aus späterer Einsicht, er muss vergangenen Idealismus nicht als naiv entlarven. Dem Regisseur Assayas gelingt vielmehr das Kunststück, Vergangenheit in filmische Gegenwart zu verwandeln: ohne Nostalgie, aber auch ohne Nachscham.

++++- „Die wilde Zeit“ Frankreich 2012, 122 Minuten, ab 12 Jahren, R: Olivier Assayas, D: Clément Métayer, Lola Créton, Felix Armand, täglich im Passage, Zeise; www.diewildezeit-derfilm.de